Lied für eine geliebte Frau
seinem neuen Geschäft erfolgreich sein will, muss er ein Gespür für die Wünsche seiner Kundschaft entwickeln, selbst für die unausgesprochenen.
Der Sarg.
Ich hatte leise, zu leise gebeten, dass man ihn aufs Gras stellt. Dass man ihn nicht in das Loch fallen lässt. Wie soll ich jetzt mit ihm verreisen?
AuÃer Madame Maudez sind alle da. Madame Maudez hasst es, wenn man etwas schmutzig macht. Sie hätte es nicht ausgehalten, dass man diese ganz und gar nicht saubere Erde auf den Sarg wirft, zuerst die trockene, die vom Holz abprallt, und dann die feuchten Klumpen, sie zerplatzen mit einem Klatschen, es platscht wie bei Schlamm oder Regen. Man scheint Gefallen an dem Schauspiel zu finden. Obwohl es nichts zu sehen gibt, beugt man sich über das Grab, um etwas zu sehen. Denn jeder fragt sich: Wo ist sie? Sie hat uns alle einberufen, keine Widerrede, Donnerstag, 30. Juni, 15 Uhr am äuÃersten Zipfel Europas, danach kommt Amerika. Und niemand ist hier, um uns Tee zu servieren. Wo sind ihre blauen Augen? Wo ist ihr Lachen?
Anscheinend habe ich mich gut benommen. Ich habe alle Hände geschüttelt. Verrückt, wie viele Hände eine Familie hat. Ihre Familie. Meine Familie. Und die vielen Freunde, die einzig wahre, weil selbst ausgesuchte Familie, nicht wahr? Sogar wenn ich jemanden umarmte, schüttelte ich ihm die Hand. Um im Rhythmus zu bleiben. Ich sage Ihnen, ich schüttelte ausnahmslos alle Hände, auch die der vier Sargträger, die auf dem Weg mit den Babypappeln (auf deren Schatten man noch mindestens zwanzig Jahre warten muss) schwitzend in aller Bescheidenheit von einem Bein auf das andere traten. Ich schüttelte sogar die Hand der Jugendliebe. Und die des Ehemanns. Nur die des dritten (des leidenschaftlichen) Liebhabers nicht. Der dritte Geliebte und ich, wir gingen Seite an Seite. Man hätte sagen können: Sehen Sie, ihr dritter und ihr vierter Mann gehen Seite an Seite. Ja, auch an jenem Tag gingen der dritte und der vierte Geliebte wie an vielen anderen Tagen und schon seit langer Zeit Seite an Seite, denn der dritte Geliebte war mein Freund und ist mein Freund geblieben. Trotz der Liebe. Dank des gemeinsamen Weges.
Fast hätte ich den Bestattungsunternehmer, den ehemaligen Fischer mit der gegerbten, zu stark geröteten Haut, zur Rechenschaft gezogen. Fast hätte ich ihm gesagt, er solle sofort aufhören, das Grab zuzuschütten, und uns, dem Geliebten Nummer drei und mir, der Nummer vier, den Sarg zurückgeben. Wir würden uns besser um ihn kümmern als die Erde und viel fröhlicher. Die Verstorbene hat sich die ganze Zeit bewegt, was glauben Sie denn, eine Frau, die sich ständig danach gesehnt hat zu tanzen! Wir hätten sie beide auf eine Reise mitgenommen, trunken gemacht mit Musik, Manu Chao und Monteverdi,wir hätten sie mit ihren Lieblingsgeschichten unterhalten, mit Bettgeschichten.
Ich konnte mich gerade noch so zurückhalten.
Meine Kinder hatten Angst um mich, vielleicht auch Angst vor mir. Sie nahmen mich zur Seite, führten mich auf der anderen Seite der Tomatengewächshäuser zum Meer.
Der ehemalige Fischer muss mich wohl trotzdem gehört haben. Die Trauerfeier lief weiter, wie ich es gewünscht hatte.
Ringsum schlagen Türen, Motoren springen an. Das Leben beginnt wieder.
«Soll ich dich nach Hause begleiten?»
«Danke, aber ich will ein wenig allein bleiben.»
«Ich verstehe. Kommst du klar?»
«Ich komm klar.»
Ich bleibe allein auf dem viel zu groÃen, viel zu neuen Friedhof zurück. Die Pappeln sind zu klein. Es ist nicht ihre Schuld. Und sie? Wo ist sie?
Wir treffen uns regelmäÃig, der Geliebte Nummer drei und ich. Wir essen zusammen, an der Küste des Ãrmelkanals oder bei ihm, an einem Fluss. Wir haben unsere Orte. Vertraute Orte, die unsere Freundschaft bereichern, soweit es möglich ist. Auf jeden Fall hat unsere gemeinsame Liebe für die Sonne unsere Freundschaft bereichert. Trotz der Eifersucht. Dank dem GroÃmut des Geliebten Nummer drei. Wir haben unsere Rituale. Am Anfang sprechen wir immer über etwas anderes: über die Politik,die Kinder, unsere sechs Kinder. Wenn man uns zuhört, könnte man meinen, wir hätten sie zusammen.
Die Tote wartet und lässt uns unsere Männergespräche führen. Irgendwann stellt sich immer Schweigen ein. Sie weiÃ, jetzt ist der Augenblick für sie gekommen, uns Gesellschaft zu leisten.
Sie
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