Lied für eine geliebte Frau
setzt sich zu uns, lächelt uns an.
«Alles klar?»
Sie nimmt jeden von uns an der Hand.
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Vor der Terrasse ist die Nacht erstarrt. Stufenweise ist sie dunkler geworden, bis sie ganz schwarz war. Kein Mond, keine Sterne. Meter um Meter ist die Nacht herangerückt. Von der gröÃten Ferne bis zum Haus hat sie alles verschlungen, erst die Strandkiefer auf der Düne, dann den geflochtenen Weidenzaun, den Hühnerstall, schlieÃlich Baum für Baum die kleine Obstwiese, drei Apfelbäume, den kälteempfindlichen Pfirsichbaum, auf dessen erste Früchte wir noch immer warten, und den Pflaumenbaum, der rundum in einen Verband gewickelt ist wie ein Schwerverletzter: Er trug zu viele Früchte, seine Ãste bogen sich herab, der Stamm bekam Risse.
Und jetzt ist die Nacht da. Sie steht starr, wie Tiere erstarren können. Der Geruch verrät ihre Gegenwart. Und die Stille. Wenn groÃe Tiere stillhalten, ist es wie ein Atmen.
«Du solltest â¦Â»
«⦠schlafen gehen.»
I cima de la delicia,
Todo en el aire es pájaro.
Auf dem Gipfel unserer Lust
Ist die Luft voller Vögel.
SÃ, tu niñez, ya fábula de fuentes.
Ja, deine Kindheit ist schon eine Sage im Mund der Quellen.
«Was? Du kennst Jorge Guillén nicht?»
Meine Frau (die Sonne) hat mir so viele Türen aufgestoÃen. Sie hat mir zum Beispiel beigebracht, dass die spanische Dichtung ein Land ist, das mit Schlössern übersät ist. Und dass in diesen Schlössern Schätze verborgen sind, das heiÃt unentbehrliche Wahrheiten, verkleidet als Düfte, Melodien, Echos, Gärten ⦠Und dass drei dieser Schlösser mehr Schätze bergen als alle anderen: das Schloss Guillén, das Schloss Lorca und das Schloss Alberti. Verzeih, Gabriel, es gibt zweifellos noch andere sehr reiche Schlösser. Ich bin erst zweiundvierzig, ich hatte noch nicht genug Zeit, um mir alle anzusehen. Begleitest du mich?
Bevor wir abends das Licht löschten, lud sie mich häufig auf einen Spaziergang zu einem dieser Schlösser ein.
«Du wirst sehen, danach schläfst du besser.»
Kaum dass sie durch das Portal schritt, war sie schon Feuer und Flamme:
«Hör dir das an. â¹Hinter den reglosen Scheiben spielen die Mädchen mit ihren Träumen.⺠Halt, Gabriel, bitte, schlaf noch nicht ein! Es ist nicht lang. Hör zu: â¹Ich möchte schlafen den Schlaf der Ãpfel, / fern dem Tumult der Friedhöfe.⺠â¹Quiero dormir el sueño de las manzanas, / alejarme del tumulto de los cementerios.âºÂ»
Ich fühlte mich beschützt wie ein Kind, das weiÃ, dass die Lampe anbleibt. Was konnte ich dafür, dass ich zu früh einschlief? Wenn mir trotz meiner Anstrengung dieAugenlider zufielen, hörte ich sie seufzen. Frauen erwarten von Männern, dass sie durchhalten. Sie sollten begreifen, dass sie damit einen Frieden bekämpfen, den sie, sie allein und nur sie, uns Männern geschenkt haben.
Seit meine Kinder sich um mich kümmern, weichen sie nicht mehr voneinander. Für den kleinsten Handgriff oder die kleinste ÃuÃerung tun sie sich zusammen. Der eine beendet den Satz, den der andere begonnen hat. Ich glaube, auf dieselbe Art und Weise tut man sich zusammen, wenn man das Bett eines Kranken macht oder seine Kissen aufschüttelt. Vielleicht wollen sie auch die Bösewichter aller Art, ob lebende oder tote, warnen, dass sie sich noch so viele Tricks ausdenken können, gegen den unverbrüchlichen Kern der Familie O. würden sie nie ankommen.
Wie vorauszusehen, erwartet mich im Schlafzimmer die Nacht. Ich weiÃ, es nützt nichts, ihr den Rücken zu kehren oder die Lampen anzumachen. Und vom torfigen Whisky ist kein Tropfen mehr da.
«Willst du â¦Â»
«⦠dass wir bei dir schlafen?»
Für wen halten meine guten Kinder ihren Vater eigentlich? Als ob man mit sechsundfünfzig noch Angst vor der Nacht hätte. Warum nicht gleich ins Bett machen, wenn sie schon dabei sind?
«Kommt nicht in Frage.»
Sie rücken also ab. Um gleich darauf wieder dazustehen, jeder mit einer dieser Luftmatratzen im Schlepptau,auf denen man, geschaukelt von türkisfarbenen kleinen Wellen im Schwimmbad und die Nase entzündet von den Chlorausdünstungen, die schönsten Ferien der Welt verbringt.
«Du kannst â¦Â»
«⦠das Licht löschen, Papa.»
Im Vergleich mit der Nacht hat das Meer den Vorteil,
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