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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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kriegt den Aufprall noch mit, und wenn man Pech hat, überlebt man doch, und dann hat man den Salat: Rollstuhl. Und man kackt in einen Sack, der einem aus dem Bauch hängt.«
    »Was erzählst du für eine Scheiße?«
    Mücke schwang die Beine aus dem Fenster. »Man müßte«, sagte er, »einen halben Salto hinbekommen, damit man genau auf dem Schädel landet.«
    »Was ist denn mit Claudia? Das sah doch ganz gut aus.«
    »Blöde Fotze. Macht auf Rührmichnichtan.«
    »Sieht aber toll aus.«
    »Mein Bruder hat gesagt, man darf sich nicht zum Affen machen.«
    »Das machst du aber gerade. Komm wieder rein, bevor Sudhoff was merkt.«
    »Der soll mich am Arsch lecken, der Sudhoff, die blöde Sau!«
    »Sei vernünftig und komm wieder rein.«
    »Ich glaube, ich muß kotzen.«
    »Also komm rein, und wir gehen kotzen.«
    »Mir ist schlecht.«
    »Kein Wunder, du hast mindestens ’ne halbe Flasche Whiskey intus.«
    »Ich glaube, ich kriege den halben Salto nicht hin. Ich glaube, ich lande auf meinem Arsch. Und mein Arsch ist aus Stahl, da passiert nichts. Scheiße.«
    Spucke lief ihm aus dem Mundwinkel. Der lange Schäfer hatte jetzt »Patricia the stripper« aufgelegt. Was sollte ich machen? Sollte ich seinen Arm packen und ihn einfach hereinzerren? Was, wenn er mir dabei erst recht abschmierte? Sollte ich zu Sudhoff gehen? Aber das würde Mücke mir mein Leben lang vorhalten. Dann aber meinte er, diese Scheißstadt habe es nicht verdient, daß er sich hier aufs Pflaster werfe, also schwang er seine Beine nach innen, sprang von der Fensterbank, verlor das Gleichgewicht, knallte auf den Holzfußboden und fing an zu kotzen. Ich wartete, bis er fertig war, dann holte ich zwei Rollen Klopapier und wischte den Mist weg. Mücke sagte nicht mal danke. Er war auf sein Bett gekrochen und eingeschlafen. Ich hoffte, der Gestank würde sich verziehen, bis die anderen schlafen gingen. Dann versuchte ich das Klopapier voller Kotze im Klo herunterzuspülen. Dabei verstopfte das Klo. Ich nahm das rote Gummidings daneben und stocherte so lange herum, bis alles abfloß. Als ich aus der Toilette kam, stand Britta da.
    »Hallo«, sagte sie.
    »Hallo«, sagte ich.
    »Ich dachte schon, du wärst reingefallen.«
    »Bin ich nicht«, sagte ich.
    »War ein schöner Nachmittag«, sagte sie.
    »Finde ich auch.«
    »Sollten wir mal wieder machen.«
    »Ja«, sagte ich.
    Und dann legte sie mir eine Hand auf die Schulter, sah sich um, beugte sich vor, gab mir einen Kuß auf die Wange und verschwand auf dem Klo. Meine Wange brannte, und ich dachte, eigentlich müßte da ein Fleck sein, den jeder sehen mußte, und weil ich das nicht wollte, ging ich nach oben und legte mich in meinen Schlafsack und hörte Mücke beim Schnarchen zu. Unten dröhnte Musik. Es wurde der Mussolini getanzt. Ich steh auf Berlin, hieß es. Dann legte der lange Schäfer »Hungry heart« auf und alle sangen mit.

4
    Ein paar Tage später wurde Helmut Kohl Bundeskanzler. Britta sagte, das sei ein großes Unglück, und wir könnten uns jetzt alle auf etwas gefaßt machen. Erst mal passierte aber nichts. Außer, daß das Wetter schlechter wurde, aber es war ja auch Herbst.
    Ich ging zu jeder Arbeitsgruppe, in der Britta auch mitmachte: Öko-AG, Anti-Atomgruppe, Arbeitskreis Nicaragua.
    Meiner Mutter fiel auf, daß ich nachmittags immer seltener zu Hause war, und sie wollte den Grund dafür wissen. Wir standen in der Küche, und auf dem Herd köchelte Essen in den Töpfen. Ich sagte, es gäbe eine Menge zu tun, politisch gesehen. Meine Mutter machte »Hm!« und sah mich von unten her an. Ich war jetzt größer als sie.
    »Du wirst doch über diesen Unsinn nicht deine Zensuren vergessen?« sagte sie.
    »Das ist kein Unsinn.«
    »Glaubst du wirklich, ausgerechnet du könntest die Welt verändern?«
    »Ich werde meine Zensuren nicht vergessen.«
    Meine Mutter drehte sich um und setzte sich auf den Küchenstuhl hinter ihr. Sie stützte ihren Kopf mit den Händen, als sei er ihr zu schwer geworden.
    »Ist es jetzt soweit?« fragte sie.
    »Was soll soweit sein?«
    »Wendest du dich jetzt von deiner Mutter ab?«
    »Wie kommst du denn darauf?«
    »Ist es nötig, so mit deiner Mutter zu reden?«
    »Wie rede ich denn mit dir?«
    »Du bist so aggressiv, mein Junge!«
    »Ich? Aggressiv? Quatsch!«
    »Ach Junge! Manchmal möchte ich wirklich wissen, was du eigentlich willst.«
    »Ich weiß überhaupt nicht…«
    »Ach Junge, versprich mir, daß du dein Leben nicht wegwirfst. Versprich mir, daß du auf

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