Liegen lernen
eigentlich alles.« Sie überraschten mich nicht, sie brachten mir nichts Neues bei. Sie waren nicht Britta.
Als ich Gisela anrief, tat ich das deshalb, weil ich wußte, daß sie mich mochte. Wir kannten uns, wir hatten eine gemeinsame Vergangenheit. Das Näherkommen würde schneller gehen.
Ich wußte, daß sie mir keine Angst machen würde. Ich dachte auch an Sex, aber nicht in erster Linie. Als ich Gisela anrief, tat ich das vor allem, weil ich ein Erfolgserlebnis brauchte.
Ich ging mit Gisela in ein Restaurant ganz in der Nähe von meiner Wohnung und achtete darauf, daß ich nicht zu viel Wein trank. Gisela erzählte mir von ihrem Medizinstudium.
»Medizin ist prima«, sagte ich. »Ärzte werden immer gebraucht.« Ich stellte mir vor, wie dem Mann am Nebentisch ein Hühnerknochen im Halse steckenblieb, er röchelnd und krebsrot angelaufen aufstand, unter panikartigen Zuckungen den Tisch umwarf und zusammenbrach, Gisela ihm zu Hilfe kam, den Mann hochwuchtete und mit einem von hinten angebrachten Ringergriff den Knochen aus dem Schlund des Mannes herausund quer durchs Restaurant katapultierte. Sicher würden wir dann nicht zahlen müssen.
Gisela hatte sich mehr Gedanken über ihre Garderobe gemacht als ich. Sie trug einen schwarzen Rock und schwarze, blickdichte Strümpfe und eine weiße Bluse und darüber einen schwarzen Angorapulli. Sie sah aus wie eine Kellnerin in der Mittagspause. Außerdem hatte sie etwas Lippenstift aufgelegt. Ich mochte das sonst nicht. Britta hatte sich nie geschminkt, und sie hielt auch bei anderen Frauen nichts davon. Aber an Gisela sah es ganz gut aus, vielleicht, weil sie selbst ein wenig blaß war. Nach dem dritten Glas Wein dachte ich, es könnte nicht allzu schwer sein, diesen Mund zu küssen und meine Zunge hineinzustecken. Es war faszinierend. Die ganze Sache konnte so einfach sein. Das war mir nicht aufgefallen, als ich mit Britta zusammengewesen war. Jetzt saß ich Gisela gegenüber, mit der ich mich schon in der Schule immer so gut verstanden hatte, und alles an ihr schien zu sagen… naja, nicht gerade »Nimm mich jetzt und hier und nimm mich hart«, aber immerhin »Umarme mich, küsse mich, hab mich lieb!« Ich fühlte mich sehr erwachsen.
Sie hatte noch immer Kontakt zu einigen Leuten aus unserer Jahrgangsstufe. Sie erzählte mir, was sie trieben. Ich fragte nach dem langen Schäfer, aber von dem hatte sie nichts gehört. Auch nicht von Mücke. Mücke hatte ich nur ein paarmal seit dem Abitur gesehen. Ich machte einen Witz über Schmalendorf, den Direktor, und Gisela lachte. Das sah schön aus. Vielleicht machte der Wein ihr Lachen noch schöner, aber ich dachte, es ist bestimmt auch ohne Wein ziemlich schön. Ich sagte ihr das. Sie wurde rot und schlug die Augen nieder.
Ich sagte, sie sehe heute abend sehr gut aus. Sie sagte »Danke«, und dann sagten wir beide ein paar Sekunden nichts. Dann fragte sie mich, was ich nach dem Studium machen wolle. Ich sagte, das werde man sehen. Dann sagten wir wieder ein paar Sekunden nichts. Sie hatte keine Ahnung von Geschichte und ich keine von Medizin.
Ich bemühte mich, das vierte Glas Soave langsamer zu trinken. Irgendwann würden wir zahlen müssen, und so wie es aussah, erwartete sie von mir, daß ich sie nach Hause brachte. Einfacher wäre es gewesen, zu mir zu gehen, ich wohnte nur ein paar Meter weiter, aber das schlug ich nicht vor. Ich hatte nicht aufgeräumt. Sie sollte nicht gleich den richtigen Eindruck von mir bekommen.
Irgendwann zahlte ich. Eigentlich konnte ich mir das alles nicht leisten, aber ich ließ die Rechnung kommen und zahlte alles. Ich half Gisela in den Mantel und wir gingen hinaus. An der frischen Luft wurde mir bewußt, wieviel Alkohol in vier Gläsern Soave steckte. Ich ließ mir nichts anmerken.
Britta und ich hatten immer viel Wein getrunken. Britta konnte ziemlich was vertragen. Ich fand das ungewöhnlich für ein Mädchen, aber das sagte ich nicht, das hätte ihr nicht gefallen. Sie sagte immer, jeder kann alles. Männer können Frauen sein und umgekehrt. Nur halt nicht beim Kinderkriegen. Einmal haben wir in ihrem Zimmer gesessen und Wein getrunken, und als sie zur Toilette wollte, ist sie die Treppe runtergefallen. Nicht die ganze, aber immerhin die letzten vier oder fünf Stufen. Ich hörte sie schreien und lief zu ihr. Sie lag auf dem Boden und lachte. Sie trug nur ein T-Shirt, und das war hochgerutscht, und ich sah ihren Hintern. Britta war betrunken. Ich betrank mich auch, damit es nicht
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