Liegen lernen
getrunken hatte. Wenn ich wütend war, hörte ich »Jumping Jack Flash«, also das übliche. Eigentlich war mal eine neue Anlage fällig, aber dazu fehlte mir das Geld. Ich kriegte es nicht hin, einfach mal ein halbes Jahr keine Platten zu kaufen, um auf eine Anlage zu sparen.
Wenn ich zu Hause war, konnte ich es nicht ertragen, wenn es still war. Tagsüber lief Musik, abends der Fernseher. Wenn ich aufstand, legte ich als erstes was auf. Die Eagles waren immer gut, um morgens langsam auf Touren zu kommen. It’s another Tequila Sunrise . Eigentlich brauchte ich einen CD-Player, schließlich brauchten CDs sehr viel weniger Platz, aber dafür hatte ich kein Geld, und einstweilen ging es ja noch so.
Neuerdings redeten die Leute von Kabelfernsehen. Ich hatte nichts dagegen, ein paar neue Programme wären nicht schlecht. Immerhin hatte ich jetzt einen Videorecorder, den ich gebraucht gekauft hatte. Ich hatte mich auf eine Anzeige gemeldet und für zweihundert Mark ein riesiges, uraltes Exemplar aus der Urgeschichte des Videorecorders erstanden. Es machte Geräusche beim Abspielen, aber das war egal, immerhin hatte ich jetzt für mich persönlich den Sendeschluß abgeschafft. Nicht weit von meiner Wohnung war ein Videoverleih, wo man mich bald beim Vornamen nannte. Action und Science-fiction hatten es mir angetan. Aber natürlich mußte es einigermaßen intelligent sein. Rambo kam nicht in die Tüte, und Chuck Norris schon mal gar nicht. Wenn ich mir etwas für den Kopf gönnen wollte, sah ich mir Woody Allen an oder so etwas wie »Kramer gegen Kramer«.
Um den Wehrdienst hatte ich mich erst mal gedrückt. Zunächst wurde während der Dauer der Regelstudienzeit »von einer Einberufung abgesehen«, und nach dem achten Semester mußte ich einen förmlichen Rückstellungsantrag stellen.
Als ich mich einschrieb hatte ich keine Ahnung von Haupt- und Nebenfächern. Ich kannte auch nicht den Unterschied zwischen Staatsexamen und Magister. Als ich in der Schlange im Foyer des Auditorium maximum stand, dachte ich, daß mir Geschichte und Deutsch immer sehr leicht gefallen waren. Also sagte ich: »Geschichte und Deutsch«, als ich bei dem unfreundlichen Herrn hinter dem niedrigen Tisch ankam. Dieser Mann sollte mich einschreiben. Ohne mich anzusehen, fragte er: »Lehramt oder Magister?« Ich zögerte einen Moment. Lehrer wollte ich auf keinen Fall werden, also sagte ich: »Magister.« Dann fragte er mich nach meinem Hauptfach. Hauptfach? Davon hatte ich keine Ahnung. Aber ich hatte keine Lust, erst nachzudenken und mich dann noch einmal hinten anzustellen. Also sagte ich: »Geschichte.« Dann sagte der Mann, ich brauche noch ein zweites Nebenfach, und ohne lange nachzudenken, sagte ich: »Politik.« Der Mann klebte mein Paßbild in mein Studienbuch, und ich war eingeschrieben. Ich bekam einen eingeschweißten Ausweis, ebenfalls mit Foto, mit dem ich billiger ins Kino kam. Beide Fotos waren fürchterlich. Ich hatte sie erst am frühen Morgen, auf dem Weg zur Einschreibung, in einem Fotoautomaten am Bahnhof gemacht. Beim ersten Foto hatte ich direkt in den Blitz gesehen, und auf den anderen dreien tränten mir die Augen. Ich hatte kein Kleingeld mehr gehabt, um neue Fotos zu machen.
Nach der Einschreibung gab es in der Historischen Fakultät noch ein »Erstsemesterfrühstück«, an dem etwa zwanzig Leute teilnahmen. Ein ziemlich abgeklärter älterer Student mit einem blonden Schnauzbart und schwarzen Sportschuhen erzählte uns allerlei Zeug, das sich wohl niemand merken konnte, außer daß man den meisten Profs nicht trauen könne und jeder von uns am besten noch mal zu einer individuellen Beratung in die Fachschaft kommen solle. Dann war alles vorbei, und ich fuhr nach Hause. Auf das Angebot der individuellen Beratung bin ich nicht zurückgekommen.
Am Freitag der gleichen Woche besuchte ich meine erste Vorlesung. Ich dachte, es ginge darum, die Geschichte der Menschheit möglichst chronologisch durchzuarbeiten, also suchte ich mir »Die Geschichte der Griechen im fünften Jahrhundert vor Christus« als erste Veranstaltung aus. Die Vorlesung fand in einem langen flachen Raum statt, mit häßlichen grauen Tischen, die alle wackelten. Immerhin gab es hier Fenster. Als ich um neun Uhr ankam, saßen erst etwa zehn Figuren herum, und ein Mensch schrieb in einer endlosen Kolonne Stichwörter an die Tafel. Zwei oder drei Leute schrieben eifrig ab. Die anderen sahen gelangweilt aus dem Fenster oder unterhielten sich. Ich setzte
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