Liegen lernen
hatte. Sie sagte, sie freue sich, von mir zu hören, und nahm meine Einladung zum Essen noch für den gleichen Abend an.
Ich hatte nicht viel Übung in diesen Sachen. Ich hatte mich ein paarmal mit Frauen getroffen, aber dann hatte ich zu viel an Britta gedacht. Fünf Jahre lag die Sache mit Britta zurück. Ich rief Gisela an, weil ich hoffte, daß es bei ihr einfach sein würde. Und sie hatte Britta gekannt. Sie war nicht Britta, aber sie war mit ihr zur Schule gegangen, hatte mit ihr nach dem Sportunterricht zusammen geduscht, sie mußte wissen, wie Britta nackt aussah. Also hatten wir schon mal was gemeinsam.
Britta hatte mir nicht besonders häufig aus Amerika geschrieben. Anfangs schrieb ich ihr jede Woche einen Brief, und etwa auf jeden vierten oder fünften antwortete sie. Dann meldete sie sich lange gar nicht. Dann schrieb sie, sie habe einen gewissen Greg kennengelernt. Kurz bevor sie wieder nach Deutschland kam, schrieb sie, sie werde zu ihrem leiblichen Vater nach München ziehen. Bis dahin war ich noch überzeugt gewesen, ich könnte Greg vergessen machen, wenn sie erst mal wieder ein paar Wochen bei mir war. Aber sie ging nach München, ohne noch einmal zu Hause vorbeizukommen. Ihre Münchner Adresgeben. Sie sagte, wenn Britta sie mir nicht gegeben habe, sei es nicht richtig, wenn ich sie von ihr bekomme. Ich nervte sie damit, daß es ein Notfall sei, und insgeheim dachte ich daran, ihr zu drohen, den Behörden zu verraten, daß sie nachmittags mit ihrem eigenen Mann Sex gehabt und daß ihr Mann sich ungeniert nackt vor dem Freund ihrer Tochter gezeigt habe. Aber glücklicherweise mußte ich diese letzte, brutalste Waffe nicht benutzen, denn irgendwann rührte ich Jutta so sehr, daß sie mir Brittas Nummer doch gab. Ich war selbst überrascht von der Zielstrebigkeit, mit der ich dieses Ziel verfolgt hatte. Diesmal war die Wahl an der Supermarktkasse ganz einfach gewesen: keine Chance für Hanuta, es mußten Die drei Musketiere sein.
Dann machte ich auch noch den nächsten Schritt: Ich schrieb Britta nach München, daß ich sie gern sehen würde. Ich schrieb nichts von Liebe und daß ich nachts nicht schlafen konnte und tags nichts essen. Ich schrieb nur, daß ich sie gern sehen würde. Ich schrieb ihr, daß ich mich an ihre Arme und Beine erinnern könnte, ihre Zehen und ihre Augen und ihre Brüste. Ich schrieb ihr, daß ich mich daran erinnern könnte, wie wir miteinander geschlafen hatten, nachmittags, zwischen Wilfrieds Skulpturen. Sie antwortete mir nicht. Ich wollte wütend werden, aber das gelang mir nicht. Eine Zeitlang spielte ich mit dem Gedanken, einfach nach München zu fahren, in der Hoffnung, daß es anders sein würde, wenn sie mich sah. Aber wollte ich das wirklich? Wollte ich mich so sehr zum Affen machen? Es hatte doch wohl einen Grund, daß sie nicht auf meine Briefe antwortete. Vielleicht hatte sie sie nicht bekommen. Vielleicht hockte bei der Post irgendein unzurechnungsfähiger Psychopath, der Liebesbriefe aufspürte und vernichtete. Aber das war natürlich Unsinn. Ich fuhr nicht.
Als ich Gisela anrief, war schon lange nichts mehr passiert. Ich war zwanzig, hatte keinen Sex und kein Geld. Aber immerhin hatte ich eine kleine Wohnung. Gleich nach dem Abitur war ich ausgezogen. Meine Eltern hatten nur mit den Schultern gezuckt. Aber sie gaben mir fünfhundert Mark im Monat. Mit diversen Jobs verdiente ich noch ein bißchen hinzu, so daß es gerade reichte.
Wofür es immer reichte, waren Platten. Ich hatte mittlerweile eine ganz stattliche Sammlung zusammen. Immer wenn ein Brief von Britta gekommen war, mußte ich losziehen und Platten kaufen. Manchmal lieh ich mir Geld. Ich pumpte meine Mutter an, die mir immer wieder etwas gab.
Was in den sechziger Jahren wichtig gewesen war, hatte ich jetzt einigermaßen vollständig. Die Platten standen in einer langen Reihe auf dem Boden unter dem Fenster im Wohnzimmer. Wenn ich eine bestimmte suchte, mußte ich auf allen vieren davor herumkriechen und die Schrift auf den schmalen Rücken entziffern. Immer wieder nahm ich mir vor, das alles mal alphabetisch zu ordnen, aber irgendwie hatte ich den Punkt verpaßt, wo das noch problemlos möglich gewesen wäre. Jetzt hätte es wohl einen ganzen Tag gedauert. Ich ließ es, wie es war.
Am liebsten hörte ich noch immer über Kopfhörer. Manchmal saß ich mitten in der Nacht neben meiner alten Kompaktanlage und hörte »Nebraska«. Manchmal auch »Nights in white Satin«, aber nur, wenn ich etwas
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