Liegen lernen
müßte ich mir was einfallen lassen. Ich fragte mich, was sie das anginge, sagte aber nichts.
Ich hatte meinen Fernseher aus der alten Wohnung mitgebracht und meinen riesigen Videorecorder. Gisela sah nicht so viel fern, also stellte ich die Dinger in meinem Zimmer auf. Die Programme waren nur über Zimmerantenne zu empfangen. Das erste ging ganz gut, das zweite zur Not auch, das dritte nur bei gutem Wetter. Aber ich hatte ja den Videorecorder. Oft saß ich in meinem Zimmer in meinem alten Sessel und sah fern, während Gisela nebenan büffelte.
Ich selber mußte nicht viel für die Uni tun. Es machte mir Spaß und es fiel mir leicht.
Außer Gisela und mir wohnten noch ein Mann und eine Frau in der großen Altbauwohnung. Der Mann hieß Rüdiger und machte gerade eine schwere Zeit durch. Allerdings waren für Rüdiger alle Zeiten schwer. Er war fast einsneunzig groß, ziemlich kräftig, ohne wirklich dick zu sein, und weil ihm vorn die Haare ausgingen, ließ er sie hinten um so länger wachsen. Dafür rasierte er sich zweimal am Tag. Meistens trug er Jeans und T-Shirt und darüber ein offenes Hemd und wechselte seine Kleidung täglich, bis auf die Hose. Er war nachlässig und ordentlich zugleich. Und so sah auch sein Zimmer aus: der Schreibtisch war unter mehreren Pyramiden von Papier gar nicht mehr zu sehen, aber das Bett war immer frisch bezogen. Rüdiger hatte Jura studiert und auch abgeschlossen. Danach hatte er zwei Jahre in einer Anwaltskanzlei gearbeitet. Dann fand er heraus, daß regelmäßige Arbeit nichts für ihn war. Während seines Studiums hatte ihn regelmäßige Arbeit nicht gestört. Gisela vermutete, es müsse damit zu tun haben, daß seine Frau ihn verlassen hatte. Sie hatten ein Kind gehabt, aber darüber redete Rüdiger nicht. Also waren seine Tage nun gekennzeichnet von einem Trott aus Aufstehen, Herumlungern und Schlafengehen. Zwischendurch sah er fern, und manchmal las er historische Romane. Bisweilen ging er sogar arbeiten, trug Zeitungen aus oder saß in einem Parkhaus herum und paßte auf, daß alle richtig rein- und rausfuhren.
Die Frau, die das dritte Zimmer bewohnte, hieß Barbara und arbeitete am Theater. Sie war fünfundzwanzig und hatte ganz kurzes schwarzes Haar. Sie trug Schnürstiefel zu kurzen schwarzen Röcken und abgetragene Kleidung aus den Siebzigern. Barbara war oft müde. Meist kam sie erst spät in der Nacht nach Hause und nicht immer ganz nüchtern. Die Arbeit am Theater schien ihr keinen Spaß zu machen. Am Morgen ging es ihr besonders schlecht, denn sie mußte schon ziemlich früh wieder auf der Probe sein. Sie war Hospitantin und bekam nicht mal Geld. Ich fragte mich, wovon sie lebte. Sie redete nicht viel. Barbaras Zimmer war eigentlich keines, sondern eher eine Höhle. Die Fenster hatte sie sich mit pinkfarbenen, grünen und blauen Tüchern verhängt, ihre Kleider hingen an einer Stange an der Wand oder lagen auf dem Boden verstreut, die zwei Sessel, die unter allerlei Kram wie noch mehr Kleidungsstücken, Büchern und Papieren schier zusammenbrachen, waren ebenso wie der runde, alte Holztisch vom Sperrmüll. Bei ihrem Einzug hatte sie den alten Teppichboden herausgerissen und keinen neuen verlegt, so daß man an den Stellen, wo es möglich war, dunkelrote Holzbohlen sehen konnte.
Gisela mochte Barbara und hatte immer etwas Mitleid mit ihr, weil sie meinte, ihr werde am Theater wirklich übel mitgespielt. Bisweilen wusch Gisela Barbaras Wäsche für sie mit und übernahm den Küchendienst, wenn Barbara nicht dazu in der Lage war.
Es war gut mit Gisela. Ich betrachtete sie gern, und ich mochte es, wenn sie mich anfaßte. Wir verstanden uns gut, stritten uns nicht und hatten meist die gleiche Meinung. Mit Gisela zu schlafen war anders als mit den anderen. Sie war sehr still und ließ mich machen. Sie war nicht prüde, hatte keine Angst, etwas auszuprobieren, aber sie kam nicht selber darauf. Ich konnte alles machen, was ich wollte, aber manchmal dachte ich, wenn wir es nur ganz einfach machen würden, wäre es auch in Ordnung für sie. Immerhin gelang es mir, nicht jedesmal an Britta zu denken.
Es wurde Zeit, daß ich eine regelmäßige Arbeit bekam, die mich nicht zu sehr anstrengte. Bisher hatte ich im Supermarkt oder im Getränkehandel Kisten geschleppt und Regale ein- oder ausgeräumt. Ich hatte bei Inventuren geholfen und Botengänge erledigt. Ich hatte sogar zwei Wochen in den Semesterferien auf dem Bau gearbeitet, aber dann war ich dreimal
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