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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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er es uns. Wir nannten sie aber immer noch Frau Fuchs, obwohl wir jetzt mit ihr verwandt waren.
    Die Beerdigung war erstaunlich gut besucht. Ich ging zusammen mit Gloria hin. Sie trug das gleiche schwarze Kleid wie bei dem Essen mit Beck und Mariele. Ich fand es unpassend, mit einem solchen Dekollete zu einer Beerdigung zu gehen.
    »Willst du das wirklich anziehen?« fragte ich sie. Sie sagte, das sei das einzige schwarze Kleid, das sie habe. Dann sah sie mich an, als warte sie nur darauf, daß ich Einwände erhob. Diesen Gefallen tat ich ihr nicht. Ich zuckte nur mit den Schultern.
    »Wie war denn dein Onkel so?« fragte sie mich im Wagen. Sie hatte den Sportwagen wieder angemeldet, und wir fuhren mit offenem Verdeck.
    »Er war nur mein Großonkel.«
    »Und wie war er so?«
    »Er war ein Arsch. Ein schlecht riechender, aufdringlicher, selbstgerechter, tyrannischer Arsch.«
    »Aber immerhin war er dein Onkel.«
    »Mein Großonkel. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß er ein Arsch war.«
    »Hast du ihm das mal gesagt?«
    »Natürlich nicht.«
    »Dann solltest du heute vielleicht auch die Klappe halten.«
    »Was soll das denn heißen?«
    »Naja, wenn du jahrelang keinen Ton gesagt hast…«
    »Du hast ja keine Ahnung«, sagte ich. Bis zum Friedhof sagten wir nichts mehr.
    Meine Eltern standen am Straßenrand, als wir ankamen. Fast ein Jahr lang hatte ich es geschafft, ihnen Gloria nicht vorzustellen. Jetzt kam sie in einem offenen roten Sportwagen und mit einem Dekollete wie ein Pornostar zur Beerdigung meines Großonkels. Das war ziemlich genau das, was die Augen meiner Eltern sagten. Endlich waren sie sich mal wieder einig. Meine Mutter sagte »Guten Tag« und gab Gloria die Hand. Mein Vater gab ihr auch die Hand, sagte aber nichts, sondern nickte nur.
    »Sie sind also die Freundin unseres Sohnes«, sagte meine Mutter.
    »Sieht ganz so aus«, sagte Gloria.
    »Was soll das heißen?«
    »Wie bitte?«
    »Wieso sieht es nur so aus?«
    »Mama, bitte«, sagte ich, »das ist nur so eine Redensart.«
    »Ein schöner Wagen«, sagte meine Mutter. »War sicher nicht billig. Was machen Sie damit im Winter?«
    »Da fahre ich einen anderen.«
    »Aha«, sagte meine Mutter, aber es war kein schönes Aha.
    Ich nahm Glorias Hand und zog sie weg. Wir gingen zur Trauerhalle. Davor stand Frau Fuchs und begrüßte die Leute, die ankamen. Wir gingen hin und gaben ihr die Hand. Sie machte nicht den Eindruck, als kenne sie mich.
    Als die Trauerhalle geöffnet wurde, setzten Gloria und ich uns in die letzte Reihe. Vorne stand der Sarg. Davor lagen Kränze. An einem Gestell daneben hingen noch mehr Kränze. Ich konnte die Aufschriften auf den Schleifen nicht lesen und wußte nicht, von wem die Kränze waren. An der Stirnseite der Trauerhalle hing ein riesiges, gußeisernes Kreuz.
    Als alle saßen, wurde Orgel gespielt. Während der Musik kam ein Pfarrer herein, ein vierschrötiger Kerl mit einem fast quadratischen Kopf. Er segnete die Trauergäste, wobei er mit seinen mächtigen Armen durch die Luft hackte wie ein Taekwondo-Schüler in seiner ersten Lektion. Dann wurde gesungen und gebetet, ich weiß nicht mehr, in welcher Reihenfolge. Dann kam die Predigt, und der Pfarrer redete davon, daß wir einen geliebten Menschen verloren hätten. Niemand lachte. Dann redete der Pfarrer davon, daß jeder Mensch seine Fehler hätte und daß niemand den ersten Stein werfen solle und daß im Angesicht des Todes alles bedeutungslos würde. Das Steine schmeißen sollten wir Gott überlassen. Ich fragte mich, was Frau Fuchs dabei dachte.
    Dann gingen wir hinaus. Der Sarg wurde auf einen Wagen geladen, der von sechs Männern mit Zylindern und weißen Handschuhen gefahren wurde. Zwei zogen ihn, die anderen vier gingen neben ihm her und schoben. Da viele Trauergäste ziemlich alt waren, kamen wir nur langsam voran. Das Grab war in der hintersten Ecke des Friedhofs, da, wo man schon die Autobahn hören konnte. Ein paar von den Leuten, die mitgingen, kannte ich noch von den alten Familienfeiern. Keiner kam zu mir und sagte, wie groß ich geworden sei. Viele kannte ich auch gar nicht. Herr Figge, der alte Nazi, kriegte kaum noch einen Fuß vor den anderen. Frau Fuchs stützte ihn. Neben mir wippten Glorias Titten, und ich wollte weg von hier. Alles hier roch nach altem Blumenkohl. Ich wurde wütend. Wie konnte Gloria es wagen, hier so herumzulaufen? Herrgott, letztlich war es mir egal, aber es war doch klar, daß meinen Eltern das nicht gefallen konnte.

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