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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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mal, was soll das eigentlich?« zischte sie und sah sich um, ob auch niemand in der Nähe war. Jetzt wurde Tacheles geredet.
    »Was meinst du?« fragte ich scheinheilig, aber ich wußte, was jetzt kam.
    »Was fällt dieser Frau ein, in diesem Aufzug zu der Beerdigung deines Onkels zu erscheinen?«
    »Er war nur mein Großonkel.«
    »Du weißt, was ich meine.«
    »Onkel Bertram hätte es gefallen.«
    »Helmut!«
    »Stimmt doch. Er war eine geile alte Sau.«
    »Unterstehe dich, so von deinem Onkel zu reden, noch dazu auf seiner Beerdigung.«
    »Unterstehe dich, so von meiner Freundin zu reden!« sagte ich. »Noch dazu auf der Beerdigung meines Onkels!«
    »Junge, ach Junge!« seufzte meine Mutter.
    »Manchmal möchtest du wirklich wissen, was ich will, was?« sagte ich, bevor sie es sagen konnte.
    Ich ging wieder an unseren Tisch. Aber ich war sauer. Meine Mutter war nicht ganz dicht, aber letztlich war es Gloria, die mich in diese Situation gebracht hatte. Ich mußte an die Bücher denken, die sie las. Vielleicht war sie wirklich ein bißchen billig. Das King mir nur durch den Kopf! Ich konnte mich nicht dagegen wehren. Ich meinte es nicht. Ich beugte mich rüber zu Gloria und küßte sie. Sie roch nach Cognac. Das ärgerte mich. Das alles war so unnötig.
    »Mußt du nicht noch in die Redaktion?« fragte ich sie leise.
    »Zerbrich du dir mal nicht meinen Kopf«, sagte sie. »Paßt dir irgend etwas nicht?«
    »Nein, nein, schon in Ordnung«, sagte ich und fügte hinzu: »Außer daß du aussiehst wie eine Nutte und schon am Mittag anfängst zu saufen.«
    Gloria tupfte sich den Mund mit der Serviette ab, stand auf und ging. Meine Eltern sahen mich an. Meine Mutter sagte: »Junge, ach Junge!« Ich stand auf und ging Gloria nach. Zusammen kamen wir an ihrem Wagen an. Wir stiegen ein und sagten nichts. Sie fuhr los. Schweigend fuhren wir nach Hause. Als sie anfing, sich umzuziehen, stellte ich mich hinter sie und hielt ihre Brüste fest und rieb mich an ihr. Sie mochte das. Ich küßte ihre Schulter und ihren Hals. Sie drückte sich gegen mich. Alles würde gut werden. Sie drückte ihren Hintern gegen meinen Schwanz. Ich war schon ganz hart. »Danke«, sagte ich.
    »Wofür?« flüsterte sie.
    »Daß du in der Trauerhalle und auf dem Friedhof nicht geil geworden bist, bei dem Altar und dem Kreuz und der Musik.«
    Sie versteifte sich. Sie fuhr herum und schlug mir ins Gesicht. Sie fing an zu weinen. Sie zog sich um, während ich auf dem Bett saß. Dann ging sie zur Arbeit.
    Ich blieb eine Weile auf dem Bett sitzen. Dann legte ich mich hin und sah an die Decke. Dann stand ich auf und ging in der Wohnung umher. Irgendwann blieb ich vor diesem selbstgemachten Regal mit ihren Büchern stehen. Was für eine Scheiße! Was für eine gottverdammte Scheiße! Gloria war doch eine tolle Frau, und sie war nicht dumm. Warum konnte sie keine anderen Bücher lesen? Es mußte doch nicht gleich »Ulysses« sein, das war mir auch zu durchgedreht. Aber es gab doch noch etwas zwischen James Joyce und Barbara Cartland.
    Ich holte ein paar Tüten und Taschen und steckte die Bücher hinein. Ich ging in einen Wald, der nicht weit weg war. Da warf ich die Bücher auf den Boden und zündete sie an. Ich bekam eine ziemlich klare Vorstellung von der Redewendung »Raub der Flammen«. Wenn man genau hinschaute, sah man, wie das Feuer sich nacheinander die einzelnen Bücher vornahm und sie fraß. Es dauerte ziemlich lange, bis sie alle verbrannt waren. Aber es waren Taschenbücher. In Leinen gebundene Hardcover hätten länger gedauert. Ich packte die Asche und die verbrannten Seiten wieder in die Taschen und Tüten, ging zurück in Glorias Wohnung und stellte sie vor das Regal. Ich hatte mir die Hände versaut und die Hose und das Hemd. Ich zog mich um.
    Dann fuhr ich in die Stadt und ging ins Raskolnikow. Ich redete mit Uwe über alte Zeiten und betrank mich. Ich fragte ihn, ob er sich an Britta erinnere. Natürlich tat er das. Sie sei sehr schön und sehr klug gewesen, sagte er. »Alle waren wenigstens ein bißchen in sie verliebt«, sagte er. Ich nickte, und Uwe grinste und gab mir noch ein Bier.
    Ich sah mich in der Kneipe um. Eine kurze flüchtige Affäre mit einer angetrunkenen Blondine wäre das Sahnehäubchen auf diesem Tag. Aber es war keine da, die in Frage gekommen wäre. Später konnte ich das nicht mehr beurteilen, denn meine Augen machten schlapp. Und alles andere wohl auch.
    Gegen zehn kam ich zu Glorias Wohnung zurück. Ich war betrunken.

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