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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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auch, aber der hängt gleich neben dem Eingang zur Küche, und das Kabel… Ist das alles, was dich interessiert? Hier tanzt der Bär und du…«
    »Ich habe es im Fernsehen gesehen.«
    »Scheiß auf Fernsehen. Da muß man dabeisein.«
    »Was machst du denn da?«
    »Ich wohne in Berlin. Schon seit ein paar Jahren.«
    »Sag bloß, du studierst?«
    »Blödsinn, ich mach hier was mit Autos.«
    »Ich glaube, die Details will ich gar nicht wissen.«
    »Ich habe sie gesehen«, sagte er.
    »Wen?«
    »Willst du nicht herkommen?«
    »Hör mal, ich kann nicht. Ich studiere hier und habe einen Job.«
    »Britta. Ich meine Britta.«
    »Britta?«
    »Ja, sie ist hier.«
    Britta. Natürlich war sie in Berlin. Wahrscheinlich hatte sie die Mauer aufgemacht. Wer sonst hatte soviel Macht?
    »Ich habe sie auf einer Party getroffen. Gestern abend. Sieht immer noch so geil aus wie früher!«
    »Warum sollte mich das interessieren?«
    »Na hör mal, willst du mich verarschen oder was? Sie war die Liebe deines Lebens, und ich wette, du hast nicht nur Händchen gehalten mit ihr. Ich jedenfalls nicht. Naja, ist lange her.«
    Was sollte das jetzt heißen? Woher wußte er – »Ich jedenfalls nicht«?
    »Hör zu«, sagte Mücke, »das Geld läuft hier durch wie nichts, ich gebe dir jetzt meine Nummer und meine Adresse. Setz deinen verdammten Arsch in Bewegung und komm her. Ich will keine Ausreden hören.«
    Ich schrieb mir seine Nummer und seine Adresse auf, und dann war das Gespräch plötzlich weg. Ich steckte mir den Zettel in die Hosentasche und ging zu Roberta und küßte sie. Sie sah mich fragend an.
    »Aus Berlin«, sagte ich. »Ein alter Freund. Da muß die Hölle los sein.«
    »Was Unangenehmes?«
    »Wieso?«
    »Du bist blaß geworden.«
    Ich schüttelte den Kopf, dann zuckte ich mit den Schultern. Roberta umarmte mich und biß mir zärtlich ins Ohr. Ich sah über ihre Schulter auf ihre wie immer prall gefüllte Ledertasche, die neben dem Bett auf dem Boden stand. Im Fernseher erzählte ein Mann mit Schnäuzer in breitestem Sächsisch, daß das alles Wahnsinn sei. Und noch immer wurde nicht geschossen. Na gut, das war schon alles sehr bemerkenswert, aber irgendwie war es nur Fernsehen. Es war real, das wußte ich, ich studierte so etwas, ich mußte ein Experte sein, zumindest ein angehender, aber doch war es nur Fernsehen. Wenn ich aus dem Fenster blickte, sah ich die gleichen Autos und die gleichen Menschen. Das Wetter war nicht besser und nicht schlechter, und in den Wohnzimmerfenstern sah man den Blauschimmer der anderen Fernseher, und die Leute, die davor saßen, machten keine Anstalten, aufzuspringen, auf die Straße zu stürzen und den Beginn einer neuen Zeitrechnung auszurufen. Für den Mann aus Sachsen mochte es »Wahnsinn« sein. Soweit ich das beurteilen konnte, kratzten sich die meisten in meiner Straße allenfalls am Sack. Oder wo auch immer. Draußen wackelte Deutschland nicht gerade verführerisch mit dem Hintern. Wir sahen fern bis Mitternacht, dann schliefen wir ein.
    Irgendwann mitten in der Nacht wurde ich wach und hörte zum ersten Mal, daß Roberta schnarchte. Als ich einschlief, wurde es schon wieder hell.
    Ich wurde noch mal wach, als Roberta aufstand, tat aber so, als schliefe ich noch. Als sie weg war, rief ich im Institut an, meldete mich krank, setzte mich in den Zug und fuhr nach Berlin.

13
    Im Zug hörte ich Musik über Walkman. Ich hatte die Lautstärke so weit aufgedreht, daß ich sonst nichts anderes hörte, nicht die Fahrgeräusche des Zuges und auch nicht die Beschwerden der Leute, die im gleichen Abteil saßen. Irgendwann gaben sie auf oder suchten sich einen anderen Platz. Ich sah aus dem Fenster. Zusammen mit der Musik war es wie eine Filmsequenz. Es durfte kein Jazz sein. Ich wollte nicht an Roberta denken. Als ich zu meinem letzten Geburtstag ein paar Kommilitonen eingeladen hatte, hatte mir einer von ihnen eine Kassette geschenkt. R.E.M. Bisher hatte ich sie nicht gehört. Das paßte gut. Wir fuhren durch die DDR, und in meinem Kopf lief »Radio Free Europe«. Gott, war das beziehungsreich!
    Der Zug war sehr voll. Viele Leute wollten nach Berlin. Sie hatten nichts Besonderes an sich. Ich fragte mich, ob ich mich wohl je für eine bestimmte Art von Musik würde entscheiden können. Ich hatte alles mögliche, aber meine Sammlung hatte keine Richtung. Kurz vor Berlin hörte ich It’s the end of the world as we know it. And I feel fine . Es wurde immer beziehungsreicher.
    Mücke wohnte in

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