Liegen lernen
fragte Roberta, als ich zu ihr zurückkam. Sie hatte den Film angehalten. Sigourney Weaver war gerade in diesen Arbeitsroboter geklettert, um es mit dem letzten der Viecher aufzunehmen.
»Es war Beck«, sagte ich. »Haben wir noch irgendwas zu essen?«
»Im Kühlschrank müßte noch etwas Parma-Schinken und ein paar Melonenscheiben sein. Was wollte er denn?«
»Wer?«
»Beck.«
Ich fand den in hauchdünne Scheiben geschnittenen Schinken, drapierte ihn auf einem Teller, legte die Melonenstücke daneben und ging damit zurück.
»Was wollte er?« fragte Roberta noch einmal.
Ich legte mich zu ihr und stellte den Teller auf ihren Bauch. Ich nahm eine Scheibe Schinken und hielt sie ihr vor die Nase, so daß sie nach oben schnappen mußte, um sie zu erreichen. »Beck sagte, sie machen die Grenzen auf.«
Roberta angelte mit ihrer Zunge nach dem Schinken, erwischte ihn und versuchte, ein wenig abzubeißen. Ich steckte ihr die ganze Scheibe in den Mund. »Welche Grenze?« fragte sie, während sie kaute.
»Die DDR«, sagte ich und biß in ein Melonenstück, das aussah wie ein kleines Schiffchen. Etwas Saft tropfte mir aufs Kinn. »Das war ja abzusehen«, sagte ich. »So konnte es ja nicht weitergehen, mit den Botschaften und so.«
»Soll ich wieder auf Play machen?«
»Klar. Noch ein Stück Melone?«
»Her damit!« sagte Roberta, und ich fütterte sie. Etwas Saft tropfte auf ihr Schlüsselbein, und ich leckte es ab. Dann sahen wir uns an, was Sigourney Weaver mit dem Alien machte, und dann schliefen wir ein.
Am nächsten Morgen wurde ich erst wach, als Roberta schon weg war. Sie mußte um neun im Institut sein und vorher noch ein paar Sachen aus ihrer Wohnung holen. Ich schaltete das Radio ein und wollte ins Bad gehen. Im Radio war keine Musik, nur Gerede. Irgendwas mit Berlin. Ich ging aufs Klo und pinkelte und gähnte. Dann duschte ich und putzte mir die Zähne. Als ich zurückkam, ging es immer noch um Berlin, noch immer ohne Musik. Ich schaltete den Fernseher ein. Überall die Mauer. Auf der Mauer saßen Leute! Ich wunderte mich, daß die Mauer am Brandenburger Tor so breit war, daß mehrere Leute nebeneinander darauf herumlaufen konnten. Es wurde niemand erschossen. Die Leute saßen auf der Mauer und tranken Sekt. Andere Leute standen davor und tranken auch Sekt. Einige waren mit kleinen und großen Hämmern zugange und hämmerten kleine und große Stücke aus der Mauer. Und keiner wurde erschossen. Mich hatten sie beim Pinkeln abknallen wollen. Die Kameras zeigten Volkspolizisten, die in sicherem Abstand das Treiben verfolgten. Sie lächelten unsicher. Aber keiner schoß. Dann wurden Leute gezeigt, die in ihren kleinen Autos in Kolonne über den Kudamm fuhren. Es wurde viel geweint. Ich sah auf die Uhr. Es war Viertel vor zehn. Ich ging in die Küche und machte mir ein Brot und kochte Kaffee. Um zehn kamen Nachrichten. Ich blieb den ganzen Tag vor dem Fernseher sitzen.
Gegen Abend kam Roberta. Sie sagte, auch an der Uni gebe es kein anderes Thema. Überall liefen Fernseher.
Abends um neun ging wieder das Telefon. Als ich den Hörer abnahm, hörte ich zunächst nur Lärm.
»Hallo?« rief ich in die Muschel. Es hörte sich an, als riefe jemand von einer Party an oder aus einer Disco. Dann hörte ich eine Stimme brüllen: »Hier ist Mücke!«
»Wer?« schrie ich zurück, obwohl ich genau verstanden hatte.
»Hier ist Mücke, du Arschloch!«
»Herrgott! Von wo rufst du an?«
»Aus Berlin, du Arschloch.«
»Kannst du nicht irgendwo hingehen, wo es ruhiger ist?« Wir hatten seit Jahren nichts voneinander gehört.
»Hast du sie noch alle? Hier gibt es keinen Ort, wo es ruhig ist. Das ist Berlin am zehnten November 1989. Jemand hat mir fünf Mark geschenkt, damit ich dich anrufen konnte!«
»Wieso?«
»Na, weil er mich für einen Ossi gehalten hat. Überleg dir das mal! Fünf Mark! Geschenkt. Normalerweise scheißen sie dir eher in die Hand, als daß sie dir auch nur einen Groschen geben!«
»Warum rufst du an?«
»Weil hier die Hölle los ist!«
»Das höre ich.«
»Warte mal, ich gehe in die Küche.«
Ein paar Sekunden lang hörte ich nur undefinierbare Geräusche, aber dann konnte ich Mücke besser verstehen.
»Besser so?« fragte er.
»Viel besser.«
»Ich bin hier in einer Kneipe, und vorne ist die Hölle los…«
»Das sagtest du bereits.«
»Aber jetzt bin ich in der Küche, hier ist Ruhe. Essen will hier heute keiner mehr.«
»Ich denke, du bist an einem Münzfernsprecher.«
»Bin ich
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