Liegen lernen
noch nie einen Kerl bei ihr gesehen. Eine Frau allerdings auch nicht.«
Wir tranken Kaffee.
»Sollen wir irgendwohin gehen?« fragte er.
»Wohin denn?«
»Keine Ahnung. Vielleicht was essen. Und dann sehen wir mal nach, wo heute noch ’ne Party steigt. Du kannst deine Sachen bei mir abstellen. Natürlich pennst du auch hier. Ich hab allerdings nur eine Luftmatratze und eine Decke, also beschwer dich nicht über mangelnden Komfort.«
Ich stellte meine Tasche in Mückes Zimmer. In dem Zimmer lag eine Matratze, und daneben stand ein Holzregal, in dem ein paar Unterhosen, Socken und Pullover lagen, und ein Tisch mit drei alten Sesseln. Auf dem obersten Regalbrett lagen ein paar Krimis und auf dem Tisch waren unzählige Ränder zu sehen, wo mal feuchte Gläser gestanden hatten. Ich hatte seit Jahren mit niemandem mehr zu tun gehabt, der keinen Schreibtisch hatte. An der Innenseite der Tür hing ein dunkler Anzug.
»Den ziehst du ernsthaft an?« fragte ich.
»Nur auf Arbeit«, sagte Mücke. »Laß uns gehen.« Also ging ich mit diesem alten Kumpel, der meine große Liebe gefickt hatte, essen.
Ich versuchte zu entscheiden, ob das ein Schock war. Mücke und Britta. Ich sah sie beide vor mir. Britta liegt mit gespreizten Beinen auf dem Bett – oder sonstwo. Vielleicht auf dem Boden? Und Mücke über ihr, sein Hintern pumpt auf und ab. War es so gewesen? Oder hatten sie es im Stehen gemacht? Oder hatte er sie von hinten genommen? Britta hatte gern auf mir gesessen. Bei Mücke auch? Oder fand sie es geil, sich es von ihm richtig besorgen zu lassen? Was hatte sie bloß an ihm gefunden? Was hatte er ihr geben können? Mücke hatte keine Ahnung von Politik und Literatur. Na gut, er war nicht blöd, aber – gewöhnlich. Er gebrauchte ständig unflätige Ausdrücke. Hatte sie das angemacht? Damals schon, mit siebzehn? War sie mit ihm im Bett gewesen, während sie mit mir zusammen war, während wir ein Paar waren? Aber: Waren wir denn ein Paar gewesen? Waren Herr und Hund ein Paar? Wahrscheinlich war es nur ein einziges Mal geschehen. So wie man manchmal unbändige Lust auf ungesundes Essen hat.
Ich sah Mücke an, während wir gingen. Er hatte gesehen, was ich gesehen hatte. Ich fragte mich, ob er es hatte würdigen können. Ich fragte mich, ob ihm klar war, mit wem er da im Bett gewesen war. Ich fragte mich, ob sie ihm ihren Orgasmus geschenkt hatte, dieses diffizile Kunstwerk ihrer Lust, etwas, das sich anschlich, so leise, daß man es nicht kommen sah, hörte oder fühlte, und das einen dann plötzlich ansprang, einem kurz angst machte, dann aber gleich wieder die Richtung änderte, um sich unfaßbar langsam zurückzuziehen. So war es mir damals nicht vorgekommen, mit diesen Worten hatte ich nicht daran gedacht. Das hatte ich mir erst zurechtgelegt, als ich in den Jahren danach immer wieder daran dachte. An dem Punkt, wo Brittas Orgasmus einen kurz ansprang, stieß sie meist einen kleinen Schrei aus, als hätte man sie mit einer Nadel gepiekt, weniger ein Schmerzensschrei als vielmehr einer, der aus der Überraschung kam. Und dann dieses Abebben.
Ich durfte nicht daran denken. Es war sehr merkwürdig. Es war, als wäre alles gestern gewesen. Aber ich war darüber hinweg. Ich war nicht wütend auf Mücke. Auch nicht auf Britta. Ich war erstaunt, aber nicht wütend. Ich ging wie durch Watte.
Es reichte nur zu einem Döner auf die Hand. Wir sahen einem dicken, schwitzenden Türken zu, wie er mit einem langen Messer Fleisch abschnitt. Er trug ein enges weißes T-Shirt, auf dem »Dönerstation« stand. Das T-Shirt steckte hinten ordentlich im Hosenbund, aber vorne ließ es den Nabel frei. Mücke hatte zwei Dosen Bier bestellt, und wir stießen an.
»Okay«, sagte er, »dann wollen wir doch mal sehen, wo heute abend was los ist.«
»Wo wollen wir hin?« fragte ich.
»Naja, wir könnten in irgendeinen Club gehen und mal sehen, was passiert, aber ich denke, es wäre noch interessanter, wenn wir irgendwo auf eine private Party gehen würden.«
Ich fragte Mücke, ob er Brittas Nummer habe.
»Naja«, sagte er, »irgendwie bin ich nicht dazu gekommen, sie nach ihrer Adresse oder ihrer Nummer zu fragen, ich habe nur ein paar Worte mit ihr gewechselt, aber es dürfte nicht allzuschwer sein, sie zu finden.«
»Klar, bei den paar Millionen Leuten hier.«
»Nein, ich meine, ich kenne Leute, die sie kennen müssen, also jedenfalls den Typen, der die Party geschmissen hat, auf der ich sie getroffen habe. Den kann ich
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