Liegen lernen
mit mir. Vielleicht ahnten sie, daß ich nichts »mit Möbeln« machte, außer daß ich darauf saß, darin schlief oder etwas in ihnen aufbewahrte. Vielleicht wußten sie, daß mein Vater Schlagersingles sammelte und manchmal ganz allein im Keller tanzte. Vielleicht wußten sie, daß ich schlecht in Mathematik war.
Tomasz saß neben mir und roch wieder schlecht. Er hatte den ganzen Abend kein Wort gesagt. Als ich betrunken war, sagte ich zu ihm: »Kannst du sprechen?«
Er sah mich lange an, holte dann eine Sonnenbrille hervor, setzte sie auf und sagte: »Was willst du wissen?«
»Was weißt du denn?« fragte ich zurück.
»Was du wissen willst.«
»Was soll das heißen?«
»Ich weiß alles, was du wissen willst, aber was du nicht wissen willst, das weiß ich auch nicht.«
»Und was will ich wissen?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich sage dir, was du wissen willst.«
»Wer wird Deutscher Fußballmeister?«
»Das willst du nicht wissen.«
»Wie bitte?«
»Das hast du mich nur gefragt, weil dir gerade nichts anderes einfiel. Du willst es aber nicht wirklich wissen. Ich habe dir doch gesagt, ich sage dir, was du wissen willst. Was ich dir’ nicht sage, das willst du auch nicht wissen.«
»Ach, was weiß ich«, sagte ich.
Tomasz nahm die Brille wieder ab und starrte die Tischplatte an. Ich wußte nicht, was ich weiter tun oder sagen sollte, also stand ich auf und ging aufs Klo. Dort war es still und sauber und niemand rauchte dort Pfeife. Die Armaturen waren auf antik gemacht, und auf dem Boden stand eine Schale mit Duftblumen. Wie bei Gloria. Über der Toilette war ein kleines Fenster. Ich stellte mich auf die Brille, öffnete das Fenster, streckte den Kopf hinaus, sog die frische Stadtluft ein und rief einmal laut »Hallo«, aber niemand antwortete. Mit was für merkwürdigen Leuten gab sich Britta bloß ab! Und das Beste war: Sie schien sich in dieser Gesellschaft noch nicht einmal wohl zu fühlen. Sie war so weit weg. Was machte ich hier? Irgendwann würde ich nach Hause müssen. Ich fand es zum Kotzen hier, aber ich konnte nicht weg. Ich kam mir vor wie eine Fliege, die auf einer Leimspur festsaß.
Ich zog den Kopf wieder ein, stieg von der Brille herunter und wusch mir die Hände.
Als ich das Klo verließ, standen Britta und Tomasz im Flur. Er drückte sie mit dem Unterleib an die Wand und hielt ihr angewinkeltes Bein in der Hand. Sie küßten sich. Sie bewegten sich ein bißchen. Dann bemerkte Britta mich. Sie sah mich an. Tomasz hielt ihr Bein weiter fest. Ich ging wieder in die Küche, setzte mich an den Tisch und ließ mich weiter ignorieren. Ich griff nach der Grappa-Flasche und stürzte drei Gläser in einem Zug hinunter. Nach etwa zehn Minuten kam Britta in die Küche und sagte, wir gingen jetzt noch zu Tomasz. Ich nickte, zog meine Jacke an und verließ die Wohnung. Draußen wartete Tomasz. Er pinkelte an einen Baum. Ein paar Minuten lang, während Britta oben Abschiedsbussi verteilte, standen wir nebeneinander wie zwei Typen, die sich kennen. Dann kam Britta und sagte, sie habe ein Taxi bestellt.
Während der Fahrt wurde nicht geredet. Ich schlief kurz ein, aber dann wurde ich wieder wach. Mir war schlecht. Ich hoffte, ich würde nicht ins Taxi kotzen. Als wir ausstiegen, drehte sich zwar alles, aber die frische Luft half mir etwas, den Brechreiz zu unterdrücken.
Tomasz wohnte in einer umgebauten Fabriketage. Irgendwo müssen die Klischees herkommen. Es war ein einziger, riesiger Kaum. In einer Ecke stand ein riesiges Bett, an einer Wand standen ein paar Kinosessel, wieder woanders ein alter Rolladenschreibtisch und weit weg davon ein runder Holztisch mit sechs verschiedenen Stühlen drum herum. Mir zitterten die Knie, aber das kam vom Alkohol. Ich hockte mich in einen der Kinosessel. Tomasz gab mir wortlos eine Flasche und ein Glas, ich glaube, ich lachte und goß mir was ein und trank. Ich legte den Kopf an die Wand hinter mir und sah, wie Britta und Tomasz sich an den Küchentisch setzten und Tomasz etwas aus seiner Jacke hervorholte. Auf dem Tisch lag ein kleiner Spiegel.
Dann fehlt mir etwas Zeit in der Erinnerung. Das nächste, an das ich mich erinnern kann, ist, daß Britta plötzlich rittlings und mir zugewandt auf meinem Schoß saß und sehr fröhlich wirkte. Sie strich mir mit beiden Händen über den Kopf und küßte mich auf die Stirn. Sie lachte. So fröhlich hatte ich sie in den ganzen letzten zwei Wochen nicht gesehen. Ich war froh, daß es ihr gutging. Jetzt würde alles
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