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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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genug geworden, zu wissen, daß sie nicht einzigartig war. Aber ich war auch intelligent genug, zu erkennen, daß es die Kombination war, die Verbindung der Elemente, die das Besondere war. Ich dachte an Worte wie »Aura«, und daß nur ich sie sehen könne, aber innerlich haute ich mir auf die Finger, so was war Unsinn. Es war chemisch zu erklären. Vielleicht aktivierte sie ein Enzym in meinem Hirn, das sonst unbenutzt in der Gegend herumlag und nur von ihr zum Leben erweckt werden konnte.
    Benutz mich!
    Ich wartete. Sie sollte mich entdecken, wenn sie sich umdrehte. Ich wollte nicht zu ihr gehen und ihr auf die Schulter tippen oder so. Sie hatte einen Arm in die Seite gestemmt. Ich sah, daß sie ihre Achselhöhlen rasiert hatte. Sie wippte ein wenig zur Musik.
    Dann sah sie mich. Sie nahm einen Schluck Bier und kam auf mich zu. »Hallo, Helmut«, sagte sie. Es war, als wären wir hier verabredet gewesen.
    »Hallo, Britta«, sagte ich.
    »Schön, dich wiederzusehen«, sagte sie und lächelte wie eine Ärztin, die sich freut, daß der Patient sich an ihre Ratschläge gehalten hat und nun endlich wieder gesund ist.
    »Ganz meinerseits«, sagte ich.
    »Sollen wir vielleicht nach draußen gehen?«
    Mein Britta-Enzym war nicht nur aktiviert, sondern trieb Kraftsport.
    Sie lotste mich Richtung Treppe. Unterwegs kamen wir an einem Haufen Jacken und Mänteln vorbei, Britta wühlte kurz darin herum und zog dann etwas hervor, das wie ein Pelzmantel aussah. Wir stiegen die Treppe hinunter. Unterwegs begegneten uns viele schöne Leute. Auch der kleine Mann, der mich vorhin am Unterarm gepackt hatte, war wieder da, und ich hörte, wie er zu einer blonden Frau im Minirock sagte: »Ich habe es! Brauchst du es?«
    Draußen war es kalt, aber das war kein Wunder, es war November, und nur vom Singen des Deutschlandliedes wurde es nicht wärmer. Britta zog ihren Mantel an. »Was hast du gemacht in all den Jahren?« fragte sie.
    »Ich bin früh schlafen gegangen«, sagte ich.
    Sie runzelte die Stirn.
    »Das ist aus ›Es war einmal in Amerika‹«, sagte ich.
    Sie schüttelte den Kopf. Das war schon mal daneben gegangen. Ich hatte geistreich sein, gleich mit der ersten Bemerkung andeuten wollen, daß ich jetzt clever war, auf gleicher Augenhöhe. Aber ich war noch weit weg.
    »Ich studiere«, sagte ich. »Geschichte« Das mußte sie doch gut finden. »Ich habe auch einen Job an der Uni«, sagte ich, »am Lehrstuhl von Professor Mutter.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Was machst du denn so?« fragte ich.
    »Ich bin in Berlin«, sagte sie.
    »Hast du einen Job?«
    »Klar.«
    »Was ist denn das für ein Job?«
    »Warum willst du das alles wissen?«
    Ich fing an, von mir zu erzählen.
    »Bist du allein hier?« unterbrach sie mich.
    »Nein, mit Mücke.«
    »Mücke ist hier?« Eine Falte zwischen ihren Augen. Schlechtes Gewissen?
    »Ja, aber ich habe ihn in dem Gedränge verloren.«
    »Hast du eine Freundin?«
    »Nein.«
    »Möchtest du mit zu mir kommen?«
    »Wann? Jetzt?«
    »Nein, nächstes Jahr. Natürlich jetzt. Hier ist es kalt, und die Party ist Scheiße. Laß uns gehen.«
    Was würde passieren, wenn wir bei ihr zu Hause waren? Keine Ahnung, aber ich war bereit. Ich stellte mir ihre Wohnung vor: Eine warme Höhle voller Bücher, vielleicht mit Che-Bildern an der Wand. Vielleicht hauste sie mit einer Horde von Atomkraftgegnern in einer Wohnung, die aussah wie eine Hütte an der Startbahn West.
    Wir fuhren mit der U-Bahn durch die ganze Stadt. Sie wohnte in Wilmersdorf. Nicht gerade eine Revoluzzer-Hochburg. Aber das war natürlich Absicht. Wo sollte man den Widerstand gegen den bürgerlichen Mief etablieren, wenn nicht mittendrin?
    Ich sah Britta an, sie schien zu schlafen, hatte die Augen geschlossen. Sie sah nicht besonders fit aus, aber vielleicht hatte sie ein paar Nächte durchgemacht, vielleicht experimentierte sie mit bewußtseinserweiternden Drogen, immer auf der Suche nach Erkenntnis. Politische Arbeit macht müde, da konnte man nicht immer aussehen wie der Frühling.
    In mir schwappte Bier hin und her, das Licht in der U-Bahn war mir zu hell. Ihr Mantel war kein echter Pelz. Er war tiefrot. Uns schräg gegenüber saß ein türkischer Junge, vielleicht fünfzehn, mit zurückgekämmten Haaren und einem Flaum auf der Oberlippe, der mal ein Bart werden wollte. Der Junge rauchte, hatte die Ellenbogen auf den Oberschenkel gestützt, den Kopf gesenkt und starrte auf den Boden zwischen seinen Füßen. Dann fing er an, Speichel

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