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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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Kaffee oder Tee?«
    »Kaffee.«
    »Tee wäre auch keiner dagewesen.«
    Ich ging ins Schlafzimmer, sammelte meine Sachen auf und zog mich an. Als ich in die Küche kam, war Britta gerade dabei, den Tisch zu decken, Kaffee lief durch, und ein Teller mit verschiedenen Wurstsorten und Käse stand auf dem Tisch.
    »Ist das hier deine Wohnung?« fragte ich.
    »Was dagegen?«
    »Nein, ich…«
    »Es ist kein verdammtes Scheiß-Bauernhaus, meinst du?«
    »So ungefähr.«
    »Ich hasse diese verdammten Scheiß-Bauernhäuser. Ich will bis an mein Lebensende keine Scheiß-Bauernhäuser mehr sehen. Irgendwann fahre ich nach Hause und zünde es meinen Eltern über dem Kopf an, diese verkackte bourgeoise Hütte.« 
     
    Sie war so schön. Ich wollte meinen Kopf auf ihren Bauch legen.
    Nach dem Frühstück gingen wir nach draußen und liefen herum. Irgendwann nahm sie meine Hand, und wir sahen aus wie ein Paar.
    Zwei Wochen blieb ich in Berlin, bei Britta. Ich war verliebt wie mit sechzehn. Aber ich war auch geil auf sie wie mit dreiundzwanzig. Sie ermutigte mich nicht gerade. Sie war auch nicht abweisend. Sex und alles, was in diese Richtung ging, spielte überhaupt keine Rolle. Händchenhalten war schon das höchste der Gefühle, aber auch da hatte ich den Eindruck, sie merkte gar nicht, daß ich ihre Hand hielt.
    Manchmal hielt ich es nicht mehr aus, und dann ging ich ins Bad und onanierte. Einmal, als wir abends im Bett lagen und ich an der Art, wie sie atmete, hörte, daß sie noch nicht eingeschlafen war, schmiegte ich mich an sie, an ihren Rücken, und legte einen Arm um sie und drückte mich gegen sie. Ich war hart, das mußte sie spüren. Sie bewegte sich nicht. Ihr Atmen veränderte sich nicht, und sie bewegte sich nicht. Ich hätte genausogut ein Schwein sein können, das sich an einem Baum reibt.
    Als ich schon wieder von ihr ablassen wollte, drehte sie sich plötzlich um und sah mich an. Ihr Gesicht war ganz nah an meinem. Sie sah mich an, als fragte sie sich, wer da wohl in ihrem Bettchen lag und von ihrem Tellerchen aß und aus ihrem Becherchen trank. Ich war versucht, mich vorzustellen: Hermes, Helmut, Geschäftsmann aus dem Ruhrgebiet. Ich mache in Turbinen. Sitzen Sie schon lange hier an der Bar. Meine Zimmernummer ist vierhundertzwölf.
    Dann strich sie mir plötzlich mit der Hand durchs Gesicht. Sie streichelte mir nicht die Wange mit dem Handrücken oder so, nein, sie legte ihre Fingerkuppen auf meine Stirn und fuhr sachte mit allen fünf Fingern durch mein Gesicht. Mittel- und Ringfinger strichen über meine Augenlider, nahmen meine Nase in ihre Mitte, während der kleine und der Zeigefinger sich über meine Jochbeine abwärtsbewegten.
    Dann küßte sie mich, und ich erinnerte mich an ihren Geschmack. 
     
    Meistens schliefen wir lange und frühstückten dann zusammen. Wir gingen spazieren. Am frühen Abend sahen wir fern. Der Fernseher war voller Osten. Später am Abend gingen wir auf Partys oder waren zum Essen eingeladen. Britta war eingeladen und nahm mich mit.
    Das Personal auf den Partys und bei den Abendessen wechselte, aber einer war immer dabei: ein Glatzkopf um die dreißig, der darauf achtete, daß sein Schädel, seine Wangen und sein Kinn immer von dem gleichen dünnen Haarfilm überzogen waren. Er trug eine schwarze Lederhose, ein schwarzes Unterhemd und ein schwarzes Jackett. Britta sagte, er heiße Tomasz, mit Betonung auf der zweiten Silbe, und er sei ein ganz alter Freund. Er roch ziemlich schlecht.
    Eines Abends waren wir in Spandau eingeladen, renovierter Altbau mit hohen Decken und sehr sauberen Parkettböden. In der großen Wohnküche stand ein fast raumfüllender Tisch, um den etwa zehn oder zwölf Leute herumsaßen, fast alles Paare. Die Wohnung gehörte einem Mann und einer Frau, die »irgendwas mit Möbeln« machten, wie Britta sagte. Nach dem Essen standen schmutzige Teller und halbleere Weinflaschen herum. Jemand rauchte Pfeife. Es wurde geredet über das, was passierte. Alle kannten es vom Fernsehen. Ich konnte nicht mitreden. Ich wußte nicht, ob jetzt das vierte Reich vor der Tür stand oder ein goldenes Zeitalter. Niemand erhob die Stimme, niemand fiel dem anderen ins Wort, die Gesichter wurden nicht rot, sondern blieben blaß und bleich und sackten noch mehr in sich zusammen und alterten. Alle waren müde, aber niemand wollte nach Hause.
    Britta saß daneben und rauchte und betrachtete die Leute, die redeten. Ich trank viel Wein. Niemand kümmerte sich um mich, niemand redete

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