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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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hörte ich von drinnen ein genervtes »Ja doch!« Es war eine Männerstimme. Ich hörte, wie aufgeschlossen wurde.
    Den Mann, der mir öffnete, hatte ich noch nie gesehen. Offenbar hatte ich ihn bei irgendwas gestört. Er trug eine dunkle Hose. Der Gürtel war offen, und die Enden hingen schlaff in den Schritt hinunter. Der Mann trug ein weißes Unterhemd. Seine grauen Haare waren naß, und um die Schultern trug er ein Handtuch. Nackte Füße.
    »Ja?«
    Ich warf einen Blick aufs Klingelschild, aber da hatte schon in den letzten Tagen kein Name gestanden.
    »Ja?« fragte der Mann noch einmal. »Wollen Sie was von mir, oder wollen Sie da nur rumstehen?«
    »Ich möchte zu Britta.«
    »Die wohnt hier nicht mehr.«
    »Seit wann?«
    »Was geht Sie das an? Wer sind Sie überhaupt?«
    »Ich bin der Helmut. Ich bin ein alter Freund. Wir sind zusammen zur Schule gegangen.«
    »Ich weiß nicht, woher Sie diese Adresse haben, aber meine Exfrau wohnt hier nicht mehr.«
    »Exfrau?«
    »Würden Sie mich jetzt bitte entschuldigen? Ich bin gerade erst von einem längeren Auslandsaufenthalt zurückgekommen und…«
    Er war schon wieder dabei, die Tür zu schließen.
    »Wenn Sie Britta sehen…« sagte ich.
    »Ich glaube nicht, daß ich sie sehe.«
    »Aber wenn doch, grüßen Sie sie von mir.«
    »Ich glaube, Sie sehen sie eher als ich.«
    Ich verließ das Haus. In der Wohnung mußten noch meine Sachen sein. Aber vielleicht hatte Britta auch schon alle Spuren verwischt. Ich suchte mir ein Taxi und ließ mich wieder zu Tomasz’ Wohnung fahren. Niemand da. Ich trommelte mit den Fäusten gegen die schwere Eisentür und brüllte Brittas Namen. Nichts. Ich setzte mich auf die Treppe und wartete. Irgendwann schlief ich ein, mit dem Kopf an der Wand. Zwischendurch wurde ich wach, trommelte wieder gegen die Tür, setzte mich wieder hin, schlief wieder ein, den Kopf auf den Knien. Als es langsam wieder hell wurde, ging ich raus. Von einer Telefonzelle rief ich ein Taxi.
    Ich pinkelte in eine Toreinfahrt.
    That’s great, it starts with an earthquake.
    It’s the end of the World as we know it.
    Ich habe es. Brauchst du es?
    Ich setzte mich auf den Bordstein und wartete.

14
    Als meine Eltern mir sagten, sie wollten sich scheiden lassen, wußte ich nicht, was ich sagen sollte. Ich war überrascht, daß sie die Leidenschaft aufbrachten, es zu tun.
    Meine Mutter rief mich an und sagte, ich solle am nächsten Sonntag zu ihnen nach Hause kommen. Ihre Stimme war in den letzten Jahren tiefer geworden. Sie empfing mich an der Wohnungstür und führte mich ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch standen drei Tassen und eine Kanne mit Kaffee. Mein Vater saß auf dem Sofa und las Zeitung. Als ich hereinkam, nickte er mir zu. Meine Mutter goß mir Kaffee ein, wartete, bis ich einen Schluck genommen hatte, und sagte: »Der Papa und ich, wir verstehen uns nicht mehr. Wir lassen uns scheiden.«
    Mein Vater sah nicht von der Zeitung auf. Seit einigen Jahren brauchte er zum Lesen eine Brille.
    »Das kommt sicher ziemlich überraschend für dich«, sagte meine Mutter.
    »Ja«, sagte ich.
    »Deine Mutter«, sagte meine Mutter, »hat jemanden kennengelernt. Dein Vater sieht ein, daß es keinen Sinn mehr hat.«
    Meine Mutter hatte einen Liebhaber? Es wäre mir leichter gefallen, zu glauben, die Erde sei eine Scheibe.
    »Deine Mutter zieht hier aus«, sagte meine Mutter. »Dein Vater bleibt erst mal hier wohnen.«
    »Wann?« fragte ich.
    »Morgen.«
    Das ging schnell. Ich hatte nichts gemerkt. Daß meine Eltern nicht miteinander redeten, war nichts Neues.
    »Das ist sicher sehr schwer für dich«, sagte meine Mutter.
    Es war nicht schwer. Es war merkwürdig. Scheidung war etwas, das anderen Leuten passierte. Meine Eltern waren jetzt sechzig. Wozu noch der Aufwand?
    »Kann ich irgendwie helfen?« fragte ich.
    »Nein, mein Junge«, sagte meine Mutter. »Dein Vater und ich schaffen das schon. Mach du dir keine Sorgen.«
    Ich trank Kaffee. Mein Vater las Zeitung. Nach ein paar Minuten sagte ich: »Tja, dann will ich mal wieder.«
    »Gut«, sagte meine Mutter.
    »Wenn irgendwas ist«, sagte ich, »ruft einfach an.«
    »Das ist sehr nett von dir, mein Junge.«
    Ich gab meinem Vater die Hand. Er stand nicht auf, aber er nahm die Brille ab, sah mich an und lächelte ein wenig. Sein Blick war ganz klar.
    Meine Mutter brachte mich zur Tür. Ich gab auch ihr die Hand. Sie lächelte, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte mich auf die Wange. Ihr Busen drückte gegen mich. Ich

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