Life - Richards, K: Life - Life
Okay, was jetzt? Du stehst an vorderster Front und bist selber schuld. Was bleibt dir übrig, als zu sagen: Verbindet mir die Augen, gebt mir eine letzte Zigarette, dann legen wir los? Kurz darauf staunst du, was du alles aus dir rausholen kannst, bevor du umkippst. Vor allem wenn du gleichzeitig den Rest der Band verarschen musst - die denken, du hättest einen glasklaren Plan vor Augen, während du völlig im Dunkeln tappst, keinen Schimmer hast von gar nichts. Du musst einfach an dich glauben. Irgendwas wird dir schon einfallen. Eine Textzeile, ein paar Töne auf der Gitarre, und schon muss die nächste Zeile her. Das ist doch dein Talent, angeblich. Andere können Spitfires bis ins kleinste Detail nachbauen, du kannst eben das.
Wenn überhaupt, ging ich gegen zehn Uhr morgens pennen, um gegen vier Uhr nachmittags wieder aufzustehen. Je nachdem, was gerade so anlag. Vor Sonnenuntergang tauchte sowieso niemand auf. Mir blieben also ein paar Stunden zum Nachdenken, oder um mir die Sachen von gestern anzuhören, falls ich den Anschluss finden musste. Wenn schon alles im Kasten war, stellte sich eine andere Frage: Was mach ich, wenn die anderen antanzen? Manchmal hatte ich richtig Panik - Scheiße, ich hab nichts auf Lager! Es ist
immer dasselbe: Die Jungs halten die Songs für Göttergeschenke. Aber die Songs stammen nicht von den Göttern, sondern von Mick und mir. Wenn man sich die Dokumentation über Exile anschaut, denkt man, wir hätten bloß stundenlange Jamsessions im Keller abgehalten. Einfach spontan rumgeklimpert, bis wir irgendwas hatten, was für den nächsten Take taugte. Als hätten wir uns gesagt: Keine Sorge, irgendwas kommt schon zur Tür reingeflogen. So wurde es dargestellt, und vielleicht war es teilweise tatsächlich so, aber ich glaube, Mick wäre anderer Meinung. Jeden Tag schauten wir uns an: Was geben wir ihnen heute? Was haben wir heute auf Lager, Baby? Wir mussten immer einen Song parat haben, um die anderen bei der Stange zu halten. Die brauchten ja immer was zum Spielen. Okay, manchmal genehmigten wir uns eine Auszeit, nach dem Motto: Nehmen wir halt einen Overdub von dem Zeug von gestern auf. Aber im Prinzip fühlten wir uns beide verpflichtet, ständig einen neuen Song, ein neues Riff, eine oder besser zwei neue Ideen zu präsentieren.
Und wir waren produktiv. Wir konnten es uns gar nicht erlauben, länger als ein, zwei Tage keine Ideen zu haben. Das war unser Job. Selbst das Skelett eines Riffs war ein Anfang. Die anderen spielten mit dem Sound, wir brachten das Riff in Form, und währenddessen ergab sich der Song ganz von selbst. Die Sache musste ins Rollen kommen, die ersten paar Akkorde mussten her, der Rhythmus. Über den Rest konnten wir uns später klarwerden - ob wir eine Bridge brauchten und so weiter. Insofern stand die Sache immer auf Messers Schneide. Wir waren nie vorbereitet. Um Vorbereitung geht es beim Rock’n’Roll auch nicht. Zuerst brauchst du das Grundgerüst eines Riffs, dann kommen die Drums dazu, und danach heißt es abwarten. In der Rückschau ist es umso spannender, weil es so schnell gehen musste. Keine Zeit für große Grübeleien, für lange Überarbeitungen. »Der Song geht so«, und dann
wurde es eben irgendwie hingebogen. In solchen Momenten wird dir klar, dass der Hauch einer Idee reicht, wenn du eine gute Band hast. Egal wie, noch vor Morgengrauen hast du etwas Wunderschönes erschaffen.
Trotzdem, irgendwann ging uns der Saft aus. Bei »Casino Boogie« waren Mick und ich komplett am Ende. Er sah mich bloß an, und mir fiel nichts mehr ein. Da kam mir Bill Burroughs gute alte Cut-up-Methode in den Sinn. Warum reißen wir nicht ein paar Schlagzeilen und Buchseiten aus, werfen die Schnipsel auf den Boden und schauen, was sich so ergibt? Hey, auf die übliche Methode haben wir heute offensichtlich keine Lust, also borgen wir uns doch mal diese Taktik. Bei »Casino Boogie« klappte es tatsächlich. Ehrlich gesagt wundert es mich, dass wir das nur dieses eine Mal gemacht haben. Damals war es die pure Verzweiflung. Die Zeilen prallten voneinander ab, doch auf einmal ergaben sie einen Sinn. Nicht, dass ein echter Zusammenhang dagewesen wäre, die einzelnen Phrasen hatten nur irgendwie alle ein ähnliches Feeling - an sich keine schlechte Definition für Rock- und Pop-Lyrics.
Grotesque music, million dollar sad
Got no tactics, got no time on hand
Left shoe shuffle, right shoe muffle
Sinking in the sand
Fade out freedom, steaming heat on
Watch that hat
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