Life - Richards, K: Life - Life
Rock’n’Roll-Lyrics voll eingängiger Phrasen und Wiederholungen. Er war fantastisch! »All Down the Line« entstand unmittelbar aus Micks »Brown Sugar«. Ich musste
mir vor allem neue Riffs ausdenken, Ideen, die Micks Fantasie anregen würden. Songs, die zu ihm passten, die auf der Platte gut kamen und sich auch auf der Bühne umsetzen ließen. Ich war der Mann fürs Grobe, ich warf ihm die Brocken zum Fraß vor. Manchmal schmeckten sie ihm nicht; zum Beispiel »Rip This Joint«, das war ihm zu schnell. Seitdem haben wir es vielleicht einmal live rausgehauen, aber was die Beats pro Minute anging, war der Song schon ein ziemlicher Wirbelwind. Kann sein, dass Little Richard noch was Schnelleres gemacht hat, aber hier ging’s nicht darum, irgendwelche Rekorde zu brechen. Ein paar Songs, die wir letztendlich weggelassen haben, hatten bizarre Titel: »Head in the Toilet Blues«, »Leather Jackets«, »Windmill«, »I Was Just a Country Boy«, »Dancing in the Light« (zweifellos auf Micks Mist gewachsen), »Bent Green Needles«, »Labour Pains«, »Pommes de Terre« - schließlich waren wir in Frankreich.
Ein anderer Song hieß »Torn and Frayed«. Er wird selten gespielt, aber das Thema ist nicht uninteressant:
Joe’s got a cough, sounds kinda rough
Yeah, and the codeine to fix it
Doctor prescribes, drugstore supplies
Who’s gonna help him to kick it?
Abgesehen von »Sister Morphine« und ein paar anderen Koksbezügen haben wir selten direkt über Drogen geschrieben. Wie im richtigen Leben tauchten sie hin und wieder auf, aber die Spekulationen und Gerüchte drumrum waren deutlich in der Überzahl: Für wen wurde der Song geschrieben? Was steckt wirklich dahinter? Angeblich ging es in »Flash« um Drogen - ich weiß auch warum, wegen des Wortes »Jack«, ein Slangausdruck für Heroin; und trotzdem hatte »Jumpin’ Jack Flash« nichts damit zu tun.
Aber die Mythen lassen sich nicht austreiben. Was du auch schreibst, irgendwer wird es auf seine Art interpretieren, irgendwer wird nach versteckten Bedeutungen suchen. Der Ursprung aller Verschwörungstheorien. Irgendein Kerl kratzt ab, und sofort fragst du dich, verdammt, wem werden sie das wieder in die Schuhe schieben? Dabei ist der doch bloß umgekippt! Das Tolle an Verschwörungstheorien ist, dass man nie erfährt, wie es wirklich war. Es gibt keine eindeutigen Belege, und so kann man nie das Gegenteil beweisen. Auch ob mein Blut ausgewechselt wurde, wird nie jemand erfahren. Die Geschichte kann kein Mensch zweifelsfrei nachweisen, und ich kann sie nie und nimmer glaubwürdig dementieren, sofern sie tatsächlich erfunden ist. Aber dazu später mehr. Was diese brennende Frage angeht, habe ich mich seit Jahren in vornehmer Zurückhaltung geübt.
»Tumbling Dice« lässt sich vielleicht auf Nellcôtes graduelle Verwandlung in eine Spielhölle zurückführen. Wir spielten Karten und Roulette, und Monte Carlo war gleich um die Ecke. Bobby Keys samt Miezen war ein-, zweimal dort. Und ja, wir haben gewürfelt. Der Ruhm für »Tumbling Dice« gebührt Mick, doch zuvor musste der Song seine frühere Inkarnation mit dem Titel »Good Time Women« hinter sich lassen. Manchmal ist alles da, die Musik, ein tolles Riff … alles bis auf ein ordentliches Thema. Und dann hockt ein Typ in einem Zimmer und sagt, »Gestern wieder Craps gespielt …«, und ein Song ist geboren: »Got to roll me.« Songs sind merkwürdige Kreaturen. Winzige Randbemerkungen bleiben hängen und wollen nicht mehr verschwinden. Ganz ehrlich, bei den meisten Songs kam ich mir vor, als würde ich schlicht eine klaffende Lücke füllen - als hätte dieser Song schon vor Jahrhunderten geschrieben werden müssen. Warum ist das noch niemandem eingefallen? Da fehlt doch was! Ständig suchte ich nach Löchern, die noch niemand gestopft hatte. Und wenn ich eins gefunden
hatte, konnte ich es immer kaum glauben. Das ist doch so was von offensichtlich! Scheiße, wie konntest du das übersehen? Das ist meine Aufgabe: Löcher stopfen.
Heute ist mir klar, dass Exile unter sehr chaotischen Bedingungen entstanden ist und in Sachen Aufnahmetechnik ziemlich innovativ war. Damals war das unsere geringste Sorge. Nein, wir fragten uns pausenlos: Haben wir Songs? Und kriegen wir den Sound gebacken? Der Rest war Nebensache. In den Outtakes hört man mich immer wieder sagen: »Okay, Schluss, aus. Weiter geht die Geschichte noch nicht.« Plötzlich bist du verantwortlich, plötzlich bist du gefordert. Alle schauen dich an:
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