Life - Richards, K: Life - Life
einen Knall - Anita hatte eine volle Flasche Wein oder Cranberrysaft an die Wand geschmissen, und das in einem Haus, das wir erst vor kurzem gemietet hatten. »Oh, Darling, ist dir der Stoff ausgegangen?« Natürlich hatte ich Verständnis, aber warum mussten wir ständig das verdammte Haus renovieren? Auf Tour oder ins Studio kam sie längst nicht mehr mit; sie isolierte sich mehr und mehr.
Je schlimmer es wurde, desto öfter behielt ich Marlon bei mir. Er war mein erster Sohn, und es war toll, mitzuerleben, wie er aufwuchs. Außerdem war er mir eine wichtige Hilfe. Bald waren Marlon und ich ein richtiges Team. 1976 war Angela noch zu jung, um mit auf Tournee zu kommen.
Ich hatte einen tollen Wagen, und in dem fuhren wir zwei von einem Auftritt zum nächsten. Marlon spielte den Navigator. Damals
gab es in Europa noch richtige Länder mit richtigen Grenzen, und Marlon hatte eine verantwortungsvolle Aufgabe: Hier ist die Karte. Du sagst mir, wann wir an der Grenze sind. Der Weg von der Schweiz nach Deutschland führte durch Österreich. Sprich: Schweizer Grenze, peng, rein nach Österreich, zack, fünfundzwanzig Kilometer durch Österreich, zack, rein nach Deutschland. Ein Haufen Grenzen - dabei wollten wir doch bloß nach München! Da musste man schon sehr überlegt vorgehen, zumal alles in Eis und Schnee versunken war. Aber Marlon war voll bei der Sache. »Noch fünfzehn Kilometer bis zur Grenze, Dad.« Das war das Signal, um rechts ranzufahren, einen Schuss zu setzen und das Zeug entweder loszuwerden oder irgendwo zu bunkern. Manchmal tippte er mich an: »Dad, fahr rechts ran. Du kippst um, du pennst ein.« Er benahm sich viel erwachsener, als er in Wirklichkeit war. Musste er auch, wenn mal wieder die Bullen anrollten. »Äh … Dad?« - »Was ist?« (Er schüttelt mich, damit ich endlich aufwache.) »Die Männer in Uniform sind da.«
Zu den Gigs kam ich nur selten zu spät, verpasst habe ich keinen einzigen. Aber wenn ich zu spät kam, dann richtig. Was der Show meistens nicht schadete, ganz im Gegenteil. Solange man irgendwann auftaucht und die Erwartungen erfüllt, warten die Leute gerne. Zumindest meiner Erfahrung nach. Über allem lag dieser Quasi-Hippie-Nebel, dieser Drogennebel. In den Siebzigern galt die Regel: Die Show geht los, wenn ich aufwache. Und wenn ich erst drei Stunden zu spät aus dem Bett stieg - eine Sperrstunde für Konzerte gab’s damals nicht. Wer zum Konzert ging, wusste, dass er die Nacht abschreiben konnte. Niemand hatte behauptet, wir würden pünktlich anfangen! Sorry, bin spät dran, jetzt ist der richtige Zeitpunkt für die Show. Niemand verließ den Saal. Aber ich übertrieb es nicht absichtlich, sondern beschränkte die krassen Verspätungen auf ein Mindestmaß.
Wenn ich nicht pünktlich auftauchte, konnte man davon ausgehen, dass ich noch tief und fest schlief. Ich weiß noch, wie Marlon mich immer wecken musste. Das wurde zu einem richtigen Ritual. Jim Callaghan und die Sicherheitsleute wussten von der Knarre unter meinem Kopfkissen und weigerten sich, mich zu wecken. Eine halbe Stunde vor dem Auftritt schickten sie Marlon vor - sie schoben ihn einfach durch die Tür. »Dad …« Marlon hatte es von Anfang an raus, er fand die richtigen Worte. »Dad, du musst jetzt wirklich aufstehen.« Und so weiter. »Also hab ich noch zwei Stunden, oder was?« - »Dad, ich hab schon getan, was ich konnte.« Marlon war ein großartiger Aufpasser.
Ja, damals war ich etwas unberechenbar - oder kam zumindest so rüber. Auf einen anderen Menschen geschossen habe ich nie. Aber die anderen fürchteten, ich könnte irgendwann mies gelaunt aufwachen, den Weckdienst für einen Einbrecher halten und zur Waffe greifen. Zugegeben, dieses Image habe ich durchaus gepflegt. Es hatte seine Vorteile. Ich wollte niemanden abmurksen, aber ich hatte nun mal einen verdammt stressigen Arbeitsalltag, ich hatte ein Kind mit dabei, und ich war ziemlich am Arsch.
Meistens schleppte ich mich direkt vom Bett auf die Bühne. Aufstehen ist das eine, aufwachen das andere. Das dauerte bei mir schon mal drei bis vier Stunden. Und dann musste ich erst noch die Spritze fertig machen. Wenn ich nur eine Stunde zu spät auf der Bühne stand, war ich schon richtig gut. »Sag mal, was hab ich eigentlich an?« - »Deinen Schlafanzug, Daddy.« - »Okay, wo sind meine verdammten Hosen? Los, schnell!« Aber meistens war ich eh in meinen Bühnenklamotten umgekippt. Und eine halbe Stunde später hieß es dann: »Ladies and
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