Life - Richards, K: Life - Life
Gentlemen, the Rolling Stones!« Ein interessanter Weckruf, was?
Aber hören wir, was Marlon dazu zu sagen hat.
Marlon: 1976 stand eine Europatour an, auf der ich mit dabei war, den ganzen Sommer lang. Im August landeten wir in Knebworth, wo die Stones mit Zeppelin auftraten. Weil Keith ziemlich launisch war und es hasste, aus dem Schlaf gerissen zu werden, musste ich ihn immer wecken. Jedes Mal kam Mick oder irgendwer anders zu mir und meinte: »Du, in ein paar Stunden müssen wir los, kannst du nicht mal deinen Dad wecken?« Allen anderen hätte er den Kopf abgerissen, aber ich durfte das. Ich ging zu ihm und sagte: »Steh auf, Dad, du musst weiter, du musst los, wir verpassen den Flieger« - und er tat, was ich sagte. Er war sehr liebevoll. Wir fuhren zu den Konzerten und wieder zurück. An große Gelage kann ich mich eigentlich nicht erinnern. Wir schliefen zusammen im Doppelzimmer, und irgendwann weckte ich ihn und ließ Frühstück servieren, Eis oder Kuchen. Die Kellnerinnen behandelten mich wie ein Baby - ohhh, der arme Kleine -, bis ich ihnen sagte, sie sollten sich verpissen. Die gingen mir wirklich auf die Nerven. Ich schnallte auch ziemlich schnell, wer sich an die Tour dranhängen oder mich ausnutzen wollte, um an Keith ranzukommen. Ständig musste ich irgendwen abwimmeln, das gehörte zum Alltag. Hör mal, sagte ich, ich will dich hier nicht sehen, hau ab. Und wenn Keith irgendwen loswerden wollte, meinte er: »Sorry, ich muss jetzt Marlon ins Bett bringen.« Und manchmal, wenn uns aufdringliche Mädchen oder besonders zwielichtige Typen belagerten, sagte ich nur: »Verpisst euch, mein Dad schläft, lasst uns in Ruhe.« Da ich ein Kind war, wussten sie nicht, was sie sagen sollten, und machten sich tatsächlich aus dem Staub.
Ich erinnere mich noch gut, wie nett Mick auf dieser Tour war. Als wir in Hamburg Station machten und Keith gerade
schlief, lud er mich auf sein Zimmer ein, und weil ich noch nie einen Hamburger gegessen hatte, bestellte er mir einen Hamburger. »Du hast also noch keinen einzigen Hamburger gegessen, Marlon? Wenn du schon in Hamburg bist, dann musst du auch einen Hamburger essen.« Also aßen wir gemeinsam zu Abend. Damals war Mick sehr freundlich und charmant. Auch zu Keith, er kümmerte sich richtig fürsorglich um ihn. Und das war wirklich was Besonderes, denn Keith war echt übel drauf.
Keith las mir immer vor. Wir standen auf Tim und Struppi und Asterix , aber da er kein Französisch konnte und wir nur französische Ausgaben hatten, musste er sich die ganze Handlung aus den Fingern saugen. Erst Jahre später, als ich selbst Tim und Struppi las, ist mir aufgegangen, dass er keine Ahnung hatte, was er da eigentlich erzählte. Er hatte nur geblufft, aber das konsequent. Eine reife Leistung, zumal er massenhaft Drogen nahm und immer wieder wegdämmerte. Ich weiß noch, dass ich nur ein Paar Schuhe und eine Hose dabeihatte. Die trug ich die ganze Tour über, bis zum letzten Tag.
Bob Bender und Bob Kowalski, die beiden Bobs, waren Keiths Bodyguards. Zwei imposante Kerle, eins achtzig groß, richtige Fleischberge. Der eine war blond, der andere dunkelhaarig, wie zwei Buchstützen. Die beiden Bobs und ich saßen immer draußen auf dem Flur und spielten Schach. Denn das war ihr üblicher Zeitvertreib: auf dem Flur sitzen und Schach spielen. Hat Spaß gemacht. Überhaupt kam mir diese Zeit gar nicht traumatisch vor - jeden Abend in einer anderen Stadt, jeden Abend ein Konzert, ein Riesenspaß. Manchmal war ich bis fünf Uhr morgens wach, um dann bis drei Uhr nachmittags zu schlafen. Ich hatte mich auf Keiths Rhythmus eingestellt.
Drogen haben mich nicht im Geringsten interessiert. Ich fand diese Typen einfach nur lächerlich, ich fand ihr Benehmen absolut bescheuert. Anita behauptet, als Vierjähriger hätte ich eine Menge Tüten geraucht, auf Jamaika, aber ich glaube ihr kein Wort. Klingt nach einer typischen Anita-Story. Mich hat das Zeug abgestoßen. Aber ich lernte, wie man es wegräumte, ohne es anzufassen. Ich wusste, man darf es nicht rumliegen lassen, und hielt daher die Augen offen. Manchmal nahm ich eine Zeitschrift oder ein Buch in die Hand, und plötzlich rieselten die Kokslinien durch die Gegend. Aber Keith regte sich nur selten darüber auf.
Am Ende der Tour, auf dem Rückweg von Knebworth, hatten wir einen Autounfall; den Unfall, bei dem Keith verhaftet wurde. Er war weggedämmert und gegen einen Baum gebrettert. Wir waren zu siebt im Auto, aber wir hatten wieder
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