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Life - Richards, K: Life - Life

Titel: Life - Richards, K: Life - Life Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Richards
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den Weg. Manchmal war der Nebel so dicht, dass man nichts sehen konnte. Plötzlich tauchte der alte Dodger mit seinem Fleck ums Auge auf, begleitete einen ein Stück, und dann übernahm irgendein Labrador. Auf der Straße waren Tiere unterwegs, auch das gibt es nicht mehr. Ohne die Hilfe meiner vierbeinigen Freunde hätte ich mich als Kind garantiert verirrt und wäre irgendwo gestorben.
    Als ich neun war, bekamen wir von der Gemeinde ein Haus in Temple Hill zugewiesen. Das war Ödland. In der Chastilian Road hatte ich mich viel wohler gefühlt. Aber für Doris war es ein Glücksfall. »Wir haben ein eigenes Haus«, und dieser ganze Scheiß. Wir schafften unseren Arsch also auf die andere Seite der Stadt. Natürlich herrschte in den ersten Nachkriegsjahren eine ernste Wohnungsnot. Viele Leute in Dartford lebten in Baracken in der Princes Road. Charlie Watts wohnte immer noch in so einer Baracke, als ich ihn 1962 kennenlernte - ein ziemlich großer Teil der Bevölkerung schlug in diesen asbestverseuchten Blechdachhäuschen Wurzeln und pflegte sie mit Hingabe. Viel konnte die britische Regierung nach Kriegsende nicht tun, außer in dem Chaos, in dem wir lebten, Ordnung zu schaffen. Klar, dass sie ihre Bemühungen glorifizierte. Die Straßen der neuen Siedlung benannten die Mächtigen nach sich selbst, nach Größen aus der Labour Party, vergangenen wie aktuellen - Letzteres vielleicht etwas voreilig, da diese nur sechs Jahre am Ruder blieben. Sie betrachteten
sich selbst als Helden der Arbeiterklasse, und einer dieser kämpferischen Parteisoldaten war mein eigener Großvater Ernie Richards, der zusammen mit meiner Großmutter Eliza zu den Begründern der Labour Party in Walthamstow gehört hatte.
    Die Siedlung war im Oktober 1947 von Clement Attlee - erster Premierminister nach dem Krieg, Freund von Ernie und Namensgeber einer der Straßen - eingeweiht worden. Seine Rede wurde für den Rundfunk aufgezeichnet. »Wir wollen, dass die Menschen Häuser haben, in denen sie gern leben, wo sie glücklich sein und eine Gemeinschaft bilden können, wo sie ein soziales Gemeindeleben führen können … Die Menschen von Dartford haben etwas geschaffen, das als Beispiel dienen wird.«
    »Nein, schön war’s da wirklich nicht«, sagte Doris immer. »Es war rau.« Heute ist es noch wesentlich rauer. Teile von Temple Hill sind inzwischen No-go-Areas, eine Jugendganghölle. Die Bauarbeiten waren noch in vollem Gange, als wir einzogen. An der Ecke stand ein Bauwagen, nirgendwo Bäume, Heerscharen von Ratten. Es sah aus wie eine Mondlandschaft. Obwohl es nur zehn Minuten von dem Dartford entfernt war, das ich kannte, hatte ich damals eine Zeit lang das Gefühl, als hätte man mich in eine fremde Galaxie verfrachtet. Dementsprechend kannte ich mindestens ein Jahr lang niemanden aus der Nachbarschaft. Aber Mum und Dad liebten das Haus. Mir blieb also nur, das Maul zu halten. Für eine Doppelhaushälfte war es okay. Es war neu und ordentlich gebaut. Aber es gehörte nicht uns! Ich fand, dass wir etwas Besseres verdienten. Und das verbitterte mich. In meinem Kopf waren wir eine Adelsfamilie im Exil. Ganz schön blasiert! Manchmal verachtete ich meine Eltern dafür, dass sie ihr Schicksal einfach so hinnahmen. Natürlich hatte ich keinen Schimmer, was sie alles hatten durchmachen müssen.

    Mick und ich kannten uns nur deshalb, weil wir so nah beisammen gewohnt hatten, nur ein paar Türen voneinander entfernt, mit der Schule dazwischen. Doch dann, als wir von der Schule wegzogen, hockte ich plötzlich »auf der anderen Seite der Gleise«. Man trifft sich nicht mehr, man ist einfach weg. Mick war von der Denver Road nach Wilmington gezogen, in einen sehr feinen Vorort von Dartford, während ich ganz am anderen Ende festsaß, eben jenseits der Gleise. Die Bahngleise verliefen buchstäblich mitten durchs Stadtzentrum.
    Temple Hill - der Name war ein bisschen pompös. Einen Tempel habe ich in der Zeit, in der wir da wohnten, nie zu Gesicht bekommen, aber der Hügel war für ein Kind wirklich eine Sensation. Er war sehr steil. Es ist erstaunlich, was man als Kind mit einem Hügel alles anfangen kann, wenn man gewillt ist, sein Leben und seine Knochen zu riskieren. Ich weiß noch, wie ich immer mein Buffalo-Bill-Wildwest-Jahrbuch quer auf einen Rollschuh legte, mich draufsetzte und dann den Temple Hill runtersauste. Pech, wenn mir irgendetwas in die Quere kam, denn die Dinger hatten keine Bremsen. Unten am Hügel musste ich über eine Straße,

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