Life - Richards, K: Life - Life
Ende der Wehrpflicht. (Die Rolling Stones würden bald als einziger Grund genannt werden, warum sie wieder eingeführt werden sollte.) Ich weiß noch, dass man an jenem unschuldigen Tag in der Kunstschule beinahe so etwas wie ein allgemeines Aufatmen hören konnte, ein ungeheures Gefühl der Erleichterung durchwehte die ganze Schule. An dem Tag wurde nicht mehr gearbeitet. Wir Jungs im entsprechenden Alter warfen uns Blicke zu, als uns klar wurde, dass wir nicht auf irgendeinen zugigen Zerstörer geschickt und auch nicht in Aldershot exerzieren würden. Bill Wyman, der älter ist als ich, hatte noch beim National Service gedient, bei der Royal Air Force in Deutschland, und es hat ihm sogar ziemlich gut gefallen.
Gleichzeitig verfluchten wir die da oben. Wir hatten all die Jahre mit dieser Wolke über unseren Köpfen verbracht. Manche Typen in der Schule hatten sich absichtlich ein nervöses Zucken zugelegt, das sie mit der Zeit zu einer gefährlichen Persönlichkeitsstörung
ausbauten, um ja nicht eingezogen zu werden. Das war ein komplettes System für sich, alle gaben sich gegenseitig Tipps, wie man darum herumkommen konnte. »Ich habe Hühneraugen, ich kann nicht marschieren.«
Das Militär verändert einen. Das sah ich an meinen Cousins und älteren Freunden, die dabei gewesen waren. Sie kamen vollkommen verwandelt zurück. Links, rechts, links, rechts. Dieser Drill. Wie Gehirnwäsche. Man kann es schließlich im Schlaf. Manchmal taten die Typen das auch. Es veränderte ihr ganzes Wesen, ihr Gefühl, wer und was sie waren, wo sie hingehörten. »Ich habe gelernt, wo mein Platz ist und dass ich da bleiben muss.« - »Sie sind Unteroffizier, und glauben Sie bloß nicht, dass Sie’s im Leben noch weiter bringen werden.« Bei den Jungs, die ich kannte und die dabei gewesen waren, konnte man immer feststellen, dass man ihnen irgendwie den Schneid abgekauft zu haben schien. Als sie nach zwei Jahren vom Wehrdienst zurückkehrten, waren sie immer noch Schuljungen, bloß inzwischen zwanzig Jahre alt.
Nun hatte man plötzlich das Gefühl, zwei Jahre frei zu haben, aber das war natürlich reine Illusion. Man wusste nicht, was man mit der Zeit anfangen sollte. Nicht einmal die Eltern wussten, was sie aus diesen Jahren machen sollten, weil sie damit gerechnet hatten, dass man mit achtzehn endlich verschwand. Plötzlich ging alles so schnell. Mein Leben hatte sich ganz manierlich hingezogen, bis ich feststellte, dass es keinen National Service mehr gab. Ich würde es niemals aus diesem verdammten Morast heraus schaffen, weg von der Sozialsiedlung und den extrem eingeschränkten Perspektiven dort. Wenn ich hingegangen wäre, wäre ich wahrscheinlich inzwischen General. Ein Alphamännchen kann man nicht stoppen. Wenn ich dabei bin, bin ich dabei. Als sie mich zu den Pfadfindern holten, war ich innerhalb von drei Monaten Fähnleinführer. Es macht mir eindeutig Spaß, andere Jungs in der
Gegend rumzukommandieren. Gebt mir einen Zug Soldaten, und ich werde die Sache regeln. Gebt mir eine Kompanie, und ich mach’s sogar noch besser. Gebt mir eine Division, und ich werde Wunder vollbringen. Es gefällt mir, Typen zu motivieren, und das war bei den Stones sehr nützlich. Ich bin richtig gut darin, einen Haufen Jungs zusammenzuschweißen. Wenn ich eine Handvoll unmotivierter Rastas zu einer brauchbaren Band zusammenschweißen kann oder sogar die X-Pensive Winos, einen ausgesprochen unbändigen Haufen, dann will das schon was heißen. Dabei geht es gar nicht ums Peitschenknallen, sondern einfach darum, dass man präsent ist, damit sie wissen, man ist dabei und leitet die Sache von vorderster Front anstatt aus dem Hintergrund.
Mir kommt es nicht drauf an, wer der Chef ist, sondern dass es funktioniert.
Kurz bevor dieses Buch in Druck ging, tauchte ein Brief von mir auf, der sich beinahe fünfzig Jahre im Besitz meiner Tante Patti befunden und den nie jemand außerhalb der Familie zu sehen bekommen hatte. 2009, als sie ihn mir gab, war sie immer noch am Leben. In diesem Brief schildere ich unter anderem den Augenblick, in dem ich Mick Jagger 1961 am Bahnhof Dartford begegnete. Der Brief wurde nur vier Monate später, im April 1962, geschrieben, als wir bereits miteinander rumhingen und gemeinsam Musik machten.
6 Spielman Rd
Dartford
Kent
Liebe Pat,
tut mir leid, dass ich nicht eher (war unzurechnungsfähig) geschrieben habe. Abgang rechts unter donnerndem Applaus.
Ich hoffe jedenfalls, es geht dir gut.
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