Life - Richards, K: Life - Life
durchs Zimmer an. Wir waren nur dabei, weil wir mehr über die neu eingetroffene Plattenlieferung wissen wollten, von der wir gehört hatten. Es gab kein größeres Lob als »Verdammt, so würde ich gern spielen können!« Aber diese Leute! Die Leute, mit denen man sich abgeben musste, ehe man an die neueste Platte von Little Milton kam! Die echten Blues-Puristen waren pedantisch, konservativ und zeigten gern und deutlich ihr Missfallen; bebrillte Streber, die darüber entschieden, was echter Blues war und was nicht.
Also bitte, woher sollten diese Gestalten das wissen? Sie sitzen an einem kalten, verregneten Tag mitten in Bexleyheath in London, und bei der Hälfte der Songs, die sie hören, haben sie keine Ahnung, worum’s überhaupt geht, und wenn sie es doch wüssten, würden sie sich in die Hosen machen. Sie haben eine ganz bestimmte Idee davon, was Blues ist und dass er nur von Schwarzen gespielt werden kann, die in der Landwirtschaft tätig sind. Aber was soll’s, es war ihre Leidenschaft.
Und es war selbstverständlich auch meine, allerdings hatte ich keine Lust, lange Debatten darüber zu führen. Ich diskutierte nicht, sondern sagte einfach: »Kann ich eine Aufnahme haben? Ich weiß, wie sie es spielen, aber ich muss mich noch mal davon überzeugen.« Darum ging’s uns im Wesentlichen. Damals war es hochgradig unwahrscheinlich, dass uns irgendeine Schnecke davon hätte abhalten können, die neue Scheibe von B. B. King oder Muddy Waters zu hören.
Mick durfte am Wochenende manchmal den Triumph Herald seiner Eltern benutzen, und ich erinnere mich, wie wir nach Manchester fuhren, um eine große Blues-Show zu sehen, bei der Sonny Terry, Brownie McGhee, John Lee Hooker und Muddy Waters auftraten. Besonders scharf waren wir auf Letzteren, aber auch auf John Lee. Es waren noch andere dabei wie Memphis Slim - eine komplette Revue, die durch ganz Europa zog. Muddy Waters kam mit seiner akustischen Gitarre auf die Bühne und spielte eine glorreiche halbe Stunde lang sein Mississippi-Delta-Zeug. Nach einer Pause kam er dann mit einer elektrischen Band wieder. Sie haben ihn buchstäblich von der Bühne gebuht. Er ackerte wie ein Panzer durch sie hindurch, ähnlich wie Dylan ein paar Jahre später bei seinem Konzert in der Manchester Free Trade Hall. Aber die Atmosphäre war feindselig - und da wurde mir klar, dass die
Leute gar nicht auf die Musik hörten, sondern nur zu einem oberschlauen Geheimbund gehören wollten. Muddy und seine Band spielten fantastisch. Es war eine umwerfende Band. Junior Wells war dabei, ich glaube auch Hubert Sumlin. Doch für dieses Publikum war Blues nur dann Blues, wenn einer mit seiner abgetragenen Latzhose auf der Bühne stand und drüber jammerte, dass ihn seine Alte verlassen hatte. Kein einziger von diesen Blues-Puristen konnte auch nur eine Note spielen. Aber ihre Neger mussten Arbeitsklamotten tragen und »Yes’m, boss« sagen. Dabei waren das Jungs aus der Großstadt und so hip, dass es schon nicht mehr wahr war. Ob elektrisch oder nicht, was hatte das damit zu tun? Der Kerl spielt doch die gleichen Noten. Es klingt nur ein wenig lauter und macht mehr Druck. Aber nein, das war »Rock’n’Roll! Runter von der Bühne!«. Sie wollten immer dasselbe und hatten keine Ahnung davon, dass das, was sie hier zufällig hörten, schlicht ein Ausschnitt aus einem Prozess war, etwas, das vor langer Zeit begonnen hatte und sich immer weiterentwickelte.
Die Stimmung war damals sehr aufgeheizt. Es ging nicht bloß um Mods gegen Rocker oder den Hass der bedrohten Anhänger des Traditional Jazz gegen uns Rock’n’Roller. Es gab Kleinkriege, die man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen kann. Die BBC übertrug 1961 das Beaulieu Jazz Festival, musste die Sendung dann aber abbrechen, weil sich die Anhänger des Traditional Jazz und des Modern Jazz gegenseitig die Rübe einschlugen und das Publikum vollkommen außer Kontrolle geriet. Für die Puristen war der Blues ein Teil des Jazz. Deshalb fühlten sie sich betrogen, wenn sie elektrische Gitarren sahen - eine ganze subkulturelle Boheme fühlte sich durch den Lederjacken-Pöbel bedroht. Natürlich hatte die Sache auch eine politische Komponente. Alan Lomax und Ewan MacColl - die berühmten Sammler und Sänger von Folksongs, die die Patriarchen oder Ideologen des Folk-Booms
waren - vertraten die marxistische Lehre, wonach diese Musik dem Volk gehörte und davor bewahrt werden musste, durch den Kapitalismus korrumpiert zu werden.
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