Life - Richards, K: Life - Life
passierte eigentlich nichts weiter, aber für diesen kurzen Moment war es Liebe. Schlicht und einfach. Sie wohnte in einem Einfamilienhaus, spielte also in einer anderen Liga.
Manchmal ging ich immer noch zu Gus. Da ich ja nun schon zwei oder drei Jahre spielte, sagte er zu mir: »Los, spiel mir Malagueña.« Ich spielte es vor, und er sagte: »Du hast es kapiert.« Und dann fing ich an zu improvisieren, es war ja schließlich eine Gitarrenstunde. Da sagte er: »So geht das aber nicht!«, und ich sagte: »Nein, aber so könnte es gehen.« - »Jetzt hast du’s langsam kapiert.«
Tatsächlich wollte ich zu Anfang nicht unbedingt Gitarrist werden. Es war einfach nur ein Mittel, um Töne hervorzubringen. Erst mit der Zeit interessierte ich mich immer mehr für das richtige Gitarrespielen und die Noten. Wie gesagt, ich bin der festen Überzeugung, dass man, wenn man Gitarrist werden will, am besten mit einer akustischen Gitarre anfängt und dann erst zur elektrischen übergeht. Glaub bloß nicht, dass du Townshend oder Hendrix wirst, nur weil du wee wee wah wah machen kannst und die ganzen elektronischen Musikertricks draufhast. Erst mal muss man das Mistding richtig kennenlernen. Man muss mit der Gitarre ins Bett gehen. Wenn gerade kein Mädchen greifbar ist, gehst du mit ihr ins Bett. Sie hat sogar die richtige Form.
Ich habe alles, was ich kann, mit Hilfe von Schallplatten gelernt. Etwas sofort nachspielen zu können, ohne diese schreckliche Beschränkung durch geschriebene Noten, ohne dieses Gefängnis der Takte, dieser fünf Linien. Aufgezeichnete Musik hören zu können hat massenweise Musiker hervorgebracht, die wie ich nicht in der Lage waren, Noten zu lesen oder zu schreiben. Vor 1900 gab es Mozart, Beethoven, Bach, Chopin, den Can-Can. Die Tonaufnahme war für das Volk eine Art von Befreiung. Wenn man selber oder jemand in deiner Umgebung in der Lage war, sich ein Gerät zu leisten, konnte man plötzlich Musik hören, die von normalen Leuten gemacht wurde, nicht nur arrangiertes Zeug und Symphonieorchester. Man konnte die Leute tatsächlich sprechen hören,
richtig spontan. Manchmal ist das ja auch der reinste Blödsinn, aber einiges davon war wirklich gut. Es war die Emanzipation der Musik. Sonst hätte man in einen Konzertsaal gehen müssen, und wer konnte sich das schon leisten? Es kann einfach kein Zufall sein, dass sich Jazz und Blues genau in dem Augenblick über die Welt verbreitet haben, als es die ersten Einspielungen gab, und zwar einfach so, innerhalb weniger Jahre. Der Blues ist universell, und deshalb gibt es ihn immer noch. Der Ausdruck und das Gefühl dafür entstand durch die Tonaufnahme. Es war, als hätte man die Vorhänge vor den Ohren weggezogen. Obendrein waren Platten für alle verfügbar und billig. Nicht dem einen oder anderen Grüppchen vorbehalten und dem Rest der Welt versagt. Natürlich entwickelte sich daraus innerhalb einer Generation eine vollkommen andere Art von Musikern. Ich brauche das Papier nicht. Ich spiele direkt nach Gehör, das geht vom Herzen gleich in die Finger. Mir braucht niemand die Seiten umzublättern.
Was ich vergessen habe: Wenn man den Blues spielt, dann hat das was von einem Gefängnisausbruch. Zuvor sind die Noten zwischen den Taktstrichen gefangen wie Sträflinge hinter Gitterstäben … Traurige Gesichter.
Keith
In Sidcup gab es alles - hier spiegelte sich diese gewaltige Explosion der Musik, der Musik als Stil, der Liebe zu allem Amerikanischen. Ich durchstöberte die Bücherei nach Werken über Amerika. Dort drüben gab es Leute, die mochten Folk, Modern Jazz, traditionellen Jazz, andere was Bluesiges, da hörte man schon den kommenden Soul. All diese Einflüsse waren gleichzeitig vorhanden. Und es gab die grundlegenden Klänge - die Zehn Gebote, damals zum ersten Mal gehört. Da war Muddy. Und da war Howlin’ Wolfs »Smokestack Lightnin’«, Lightnin’ Hopkins. Und es gab diese Platte mit dem Titel Rhythm & Blues Vol. I . Buddy Guy spielte darauf »First Time I Met the Blues«, ein Track war mit Little Walter. Noch zwei Jahre, nachdem ich zum ersten Mal seine Musik gehört hatte, wusste ich nicht, dass Chuck Berry schwarz war, und das war natürlich noch lange, bevor ich den Film sah, der Tausende von Musikern inspirierte - Jazz on a Summer’s Day , in dem er »Sweet Little Sixteen« spielt. Und dass Jerry Lee Lewis weiß war, wusste ich auch ewig nicht. Wenn sie mit irgendwas in den amerikanischen Top Ten waren, sah man keine Bilder
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