Life - Richards, K: Life - Life
von ihnen. Die einzigen Gesichter, die ich kannte, waren die von Elvis, Buddy Holly und Fats Domino.
Es war sowieso nicht wichtig. Wichtig war der Sound. Als mir das erste Mal »Heartbreak Hotel« zu Ohren kam, wollte ich deshalb noch lange nicht Elvis Presley sein. Ich hatte damals keine Ahnung, wer er war. Es war nur dieser Sound, diese ganz andere Aufnahmetechnik. Die, wie ich später herausfand, von diesem Visionär
Sam Phillips von Sun Records stammte. Der Echoeffekt. Keine unnötigen Extras. Man fühlte sich, als wäre man mit ihnen in einem Raum, als würde man einfach genau das hören, was im Studio vor sich ging, keine Schnörkel, kein Zuckerguss, kein gar nichts. Das hatte einen ungeheuren Einfluss auf mich.
Auf dieser Elvis-LP war das ganze Sun-Zeug, dazu ein paar Aufnahmen von RCA. Sie enthielt alles, von »That’s All Right«, »Blue Moon of Kentucky« bis zu »Milk Cow Blues Boogie«. Für einen Gitarristen - oder einen angehenden Gitarristen - der Himmel auf Erden. Aber andererseits, was zum Teufel passierte da genau? Ich wollte vielleicht nicht Elvis Presley sein, aber bei Scotty Moore war ich mir nicht so sicher. Scotty Moore war mein Idol. Er war bei all den Sachen von Sun Records der Gitarrist von Elvis. Er ist auf »Mystery Train« drauf und auf »Baby Let’s Play House«. Inzwischen kenne ich den Mann, ich habe mit ihm gespielt. Ich kenne die Band. Aber damals galt es als die hohe Kunst des Gitarrespielens, wenn man es von vorne bis hinten fehlerfrei durch »I’m Left, You’re Right, She’s Gone« schaffte. Und dann »Mystery Train« und »Money Honey«. Ich wäre glücklich gestorben, wenn ich so hätte spielen können. Wie zum Teufel ging das? Das waren die Sachen, die ich auf dem Klo in Sidcup spielte, auf einer geborgten Höfner Archtop mit F-Löchern. Das war, bevor mich die Musik zurück zu den Wurzeln von Elvis und Buddy führte - zurück zum Blues.
Bis heute gibt es einen Lick von Scotty Moore, den ich nicht hinkriege, und er will ihn mir einfach nicht verraten. Neunundvierzig Jahre lang habe ich es ohne Erfolg versucht. Er behauptet, er könne sich nicht an den Lick erinnern, von dem ich spreche. Es ist nicht so, dass er ihn mir nicht zeigen will, er sagt bloß: »Ich weiß nicht, welchen du meinst.« Er ist auf »I’m Left, You’re Right, She’s Gone«. Ich glaube, in E-Dur. Da ist ein Lauf, wenn er zum Quintenakkord
kommt, vom B runter zum A und dann zum E, fast wie ein Jodler. Ich hab’s nie ganz rausgekriegt. Auf »Baby Let’s Play House« ist er auch. An der Stelle »But don’t you be nobody’s fool / Now baby, come back, baby…« spielt er ihn dann, den Lick, bei dieser letzten Zeile. Wahrscheinlich ein ganz einfacher Trick. Aber es geht zu schnell, und es sind unheimlich viele verschiedene Töne: Welcher Finger bewegt sich also und welcher nicht? Ich hab das nie von irgendjemand anderem gehört. Creedence Clearwater hat eine Version von dem Song eingespielt, aber dieser eine Move, der ist nicht dabei. Und Scotty ist ein Schlitzohr. Sehr trocken. »He, Jungchen, du hast doch Zeit genug, es rauszufinden.« Jedes Mal, wenn ich ihn treffe, heißt es: »Na, hast du den Lick jetzt drauf?«
Der angesagteste Typ am Sidcup Art College war Dave Chaston, damals eine richtige Größe. Sogar Charlie Watts kannte Dave über irgendeine andere Jazz-Verbindung. Er bestimmte, was hip war - richtig hip, nicht nur Boheme -, und er war so cool, dass er auch über den Plattenspieler herrschte. Wenn man eine neue 45er-Single hatte, wurde sie immer wieder gespielt, praktisch auf Endlosschleife. Vor allen anderen besaß er die erste von Ray Charles - er hatte ihn sogar spielen sehen -, die ich zum ersten Mal während einer dieser mittäglichen Plattenpausen hörte.
Damals waren alle sehr mit ihrem Äußeren beschäftigt. Auf dem Klassenfoto von 1959, meinem ersten Jahr, kann man davon noch nicht viel erkennen; da fing alles gerade erst an. Die Jungs sehen sehr konventionell aus in ihren Pullovern mit V-Ausschnitt, und die nicht mal zwanzig Jahre alten Mädchen sind angezogen wie Fünfzigjährige und von den wenigen Lehrerinnen nicht zu unterscheiden. Tatsächlich trugen alle, egal welchen Geschlechts, schwarze Sweater, die viel zu lang für sie waren - alle außer Brian Boyle, der der Inbegriff des Mod war und jede Woche neue Klamotten
anhatte. Wir fragten uns immer, woher er das Geld dafür nahm. Der Rückengürtel, das Prince-of-Wales-Karo und das aufgebauschte Haar, und dann legte
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