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Life - Richards, K: Life - Life

Titel: Life - Richards, K: Life - Life Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Richards
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schwach, dann drehte man einfach weiter und hörte gleich den nächsten großartigen Song. Die schwarze Musik explodierte gerade. Das war geballte Energie. Motown war zwar eine Fabrik, aber sie warfen keine standardisierten Produkte auf den Markt. Wenn wir unterwegs waren, hieß unsere Nahrung Motown, wir warteten einfach auf den nächsten Song von den Four Tops oder den Temptations. Ob auf oder neben der Straße, Motown war unser Lebensmittel. Tausend Meilen Radio hören auf dem Weg zum nächsten Gig. Das war die Schönheit Amerikas. Davon hatten wir schon geträumt, bevor wir ankamen.
    Mir war längst klar, dass nicht jeder Amerikaner etwas mit Lenny Bruce’ Sinn für Humor anfangen konnte, aber ich glaubte, er könne mir den Einstieg in die Geheimnisse der amerikanischen Kultur erleichtern. Er war meine Eintrittskarte in die amerikanische Satire. Lenny war der Mann. The Sick Humor of Lenny Bruce ; ich hatte ihn aufgesogen, schon lange bevor ich nach Amerika kam. Ich war also vorbereitet, als Mick in der Ed Sullivan Show nicht »Let’s Spend the Night Together« singen durfte. Wir mussten stattdessen »Let’s Spend Some Time Together« singen. Da geht’s um Schattierungen, Nuancen. Was bedeutet das, besonders für CBS? Eine Nacht ist nicht gestattet. Unglaublich. Wir konnten
nur lachen. Das war Lenny Bruce in Reinkultur - ›Titten‹ ist ein schmutziges Wort? Was ist denn jetzt schmutzig? Das Wort oder die Titten?«
    Andrew und ich gingen ins Brill Building, die Tin Pan Alley der amerikanischen Popmusik. Wir wollten den großen Jerry Leiber kennenlernen, aber Jerry Leiber uns nicht. Irgendwer checkte, wer wir waren, ließ uns rein und spielte uns haufenweise Songs vor. Rausmarschiert sind wir mit »Down Home Girl« von Leiber und Butler, ein großartiger Funk-Song, den wir im November 1964 aufnahmen. Bei einem unserer Streifzüge suchten wir die New Yorker Decca-Büros und landeten schließlich in einem Motel Ecke 26th und 10th, und zwar mit einem betrunkenen Iren namens Walt Mc-Guire, einem Kerl mit Bürstenhaarschnitt, der aussah, als käme er geradewegs von der amerikanischen Marine. Das war der Leiter des Decca-Büros, USA. Und wir erkannten plötzlich, dass die große Schallplattenfirma Decca tatsächlich nur ein Lagerhaus in New York war. Ein Taschenspielertrick. »O ja, wir haben große Büros in New York.« Und die befanden sich in einem Lagerhaus bei den Docks am West Side Highway.
    Wir hörten uns die Girlgroups an, Doo-Wop, Uptown Soul: die Marvelettes, die Crystals, die Chiffons, die Chantels. Unsere Ohren waren voll von dem Zeug, es war herrlich. Und da waren die Ronettes, die Schärfsten von allen. »Will You Love Me Tomorrow« von den Shirelles. Shirley Owens, die Leadsängerin, hatte eine kaum geschulte Stimme, wunderschön ausgewogen zwischen Zerbrechlichkeit und Naivität, fast so, als wäre sie gar keine Sängerin. Alles, was man damals hörte, war unter Garantie von den Beatles beeinflusst - »Please Mr. Postman« und »Twist and Shout« von den Isley Brothers. Wenn wir irgendwas in dieser Richtung im Richmond Station Hotel gespielt hätten, hätte es geheißen: »Was soll das denn? Jetzt sind sie völlig durchgeknallt.« Weil die Leute von uns den
rechtschaffenen Chicago Blues erwarteten, den keine andere Band so gut spielen konnte wie wir. Die Beatles jedenfalls hätten ihn nie so spielen können. In Richmond hatten wir fachmännische Arbeit abzuliefern und nicht vom rechten Weg abzukommen.
    Unsere allererste Show in Amerika überhaupt fand im Swing Auditorium in San Bernadino, Kalifornien, statt. Bobby Goldsboro, der mir den Jimmy-Reed-Lick beigebracht hatte, und die Chiffons waren auch Teil der Show. Zuvor jedoch wurde uns die Erfahrung zuteil, wie uns Dean Martin in der Fernsehsendung Hollywood Palace dem Publikum vorstellte. Wenn man damals in Amerika lange Haare hatte, galt man als Schwuchtel und als Missgeburt. Auf der Straße bekam man zu hören: »Hey, du Tunte!« Dean Martin stellte uns vor als »die Rolling Stones, die langhaarigen Wunderknaben aus England. Die haben sich hinter der Bühne gerade noch gegenseitig die Flöhe aus den Klamotten gezupft«. Höhnische Sprüche und verdrehte Augen. Dann sagte er: »Lasst mich bloß nicht alleine mit denen da«, und zeigte mit entsetzten Gesten in unsere Richtung. Das war Dino, der Rat-Pack-Rebell, der der Unterhaltungsbranche den Stinkefinger zeigte und so tat, als sei er die ganze Zeit besoffen. Wir waren ziemlich baff. In England

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