Life - Richards, K: Life - Life
Leute die Fäden in der Hand hielten. Das ging uns gegen den Strich, aber wir konnten kaum etwas dagegen tun. Erst recht nicht auf Tour. Andererseits hätten wir uns nie kennengelernt, wenn wir nicht in diese verrückte Lage geraten wären. Ronnie wollte immer nur das Beste für die anderen - für sich selbst hat sie es nie wirklich erreicht. Aber sie hatte das Herz am rechten Fleck. Einmal habe ich sie frühmorgens in ihrem Zimmer im Strand Palace Hotel besucht. »Wollte nur kurz Hallo sagen.« Sie waren schon wieder auf dem Sprung, nach Manchester oder so, der Bus wartete, und ich dachte mir, schau ich doch mal bei ihr vorbei. Da lief nichts, ich half ihr bloß packen. Aber für meine Verhältnisse war das schon sehr mutig. So offensiv war ich noch nie
auf ein Mädchen zugegangen. Kurze Zeit später sahen wir uns in New York wieder, davon zu gegebener Zeit mehr. Ich habe den Kontakt immer gehalten. Ausgerechnet an 9/11, dem 11. September 2001, waren wir zusammen in einem New Yorker Studio. »Love Affair« hieß der Song, den wir aufnehmen wollten. Die Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen.
In unserer jugendlichen Arroganz betrachteten wir unsere Entwicklung als Abstieg. Nun waren wir keine Bluesmen mehr, die in kleinen Clubs auftraten, sondern Popstars oder Rockstars. Als wir uns 1962/63 auf die kommerzielle Seite des Business vortasteten, ekelten wir uns sogar ein bisschen. Zu Beginn hatten die Rolling Stones ein klar definiertes Ziel gehabt: die verdammt noch mal beste Bluesband Londons zu sein. Nicht mehr und nicht weniger. Die Provinz interessierte uns nicht, wir waren Londoner und stolz darauf. Aber wenn der Rest der Welt ruft, fallen dir schon bald die Schuppen von den Augen. Auf einmal ergaben sich ungeahnte Möglichkeiten, die Beatles machten es vor. Berühmt sein ist nicht leicht, ich kann es eigentlich nicht empfehlen. Aber manchmal geht es nicht anders, wenn du vorwärtskommen willst. Irgendwann merkst du, okay, ich hab meine Seele verkauft. Niemand hat dir was davon gesagt, aber nach ein paar Wochen oder Monaten wird dir klar, dass es passiert ist, einfach so. Dass du jetzt auf einen bestimmten Weg festgelegt bist, auch wenn er nicht deinen künstlerischen Idealvorstellungen entspricht. Deinem Teenie-Idealismus, deinem Purismus, der ganze Schwachsinn. Jetzt bist du auf dem Weg, jetzt folgst du all diesen Menschen, in deren Fußstapfen du treten wolltest, Muddy Waters, Robert Johnson und so weiter. Der Deal ist gelaufen. Du musst weitermachen, wie deine Brüder und Schwestern, wie deine Vorfahren. Ob du willst oder nicht, du bist on the road .
Bild 4
© Michael Cooper/Raj Prem Collection
KAPITEL 5
Die erste US-Tour der Stones. Auf dem San Antonio State Fair lerne ich Bobby Keys kennen. Chess Records, Chicago. Mit der zukünftigen Ronnie Spector im Apollo. Die Fleet Street und Andrew Oldham prägen unser neues Image: langhaarig, abstoßend und verdorben. Mick und ich schreiben einen passenden Song für die Stones. Wir fliegen nach L. A. und machen mit Jack Nitzsche Aufnahmen in den RCA-Studios.
Ich schreibe im Schlaf »Satisfaction«, und wir landen unsere erste Nummer eins. Allen Klein wird unser Manager. Linda Keith bricht mir das Herz. Ich kaufe Redlands, mein Landhaus. Brians Absturz beginnt - und er lernt Anita Pallenberg kennen.
A ls wir zum ersten Mal nach Amerika flogen, kamen wir uns vor, als wären wir gestorben und in den Himmel gekommen. Das war im Sommer’64. Jeder von uns hatte seine eigene kleine Vorstellung von Amerika im Kopf. Charlie ging ins damals noch swingende Metropole und hörte sich Eddie Condon an. Ich ging als Erstes zu Colony Records und kaufte mir jede Platte von Lenny Bruce, die ich kriegen konnte. Ich war verblüfft, wie altmodisch und europäisch New York war, ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Hotelpagen und Oberkellner! Unnötig
aufgeplustert und vollkommen unerwartet. Als hätte jemand in den Zwanzigern gesagt: »Okay, das sind die Regeln«, und seitdem hätte sich nicht das Geringste verändert. Andererseits war es die schnelllebigste moderne Stadt, die es gab.
Und dann das Radio! Unvorstellbar, wenn man gerade aus England kam. Da war eine echte musikalische Revolution im Gange. Wenn man mit aufgedrehtem Radio im Wagen dahinrollte, war das sogar noch besser als himmlisch. Man kurbelte sich durch die Skala und kriegte zehn Country-Stationen und fünf schwarze Sender rein. Wenn man über Land fuhr und ein Sender wurde zu
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