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LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)

LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)

Titel: LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Everson
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– so ziemlich alles, was man ins Wasser schmiss, hatte die Tendenz, oben zu schwimmen.
    Er deponierte ein paar kleinere Kiesel in den Gesäßtaschen ihrer Jeans und streifte sie ihr mühsam so weit wie möglich über die Beine, ehe er einen weiteren schweren Stein in ihre Bluse einwickelte und diese um den linken Fußknöchel knotete. Überzeugt, dass sie nun schwer genug war, um unterzugehen, wuchtete Andy die tote Frau in die Höhe und wankte mit ihr bis zum Rand der Felsnase. Mit einem gequälten, schmerzerfüllten Aufschrei schleuderte er sie ins Wasser. Klatschend schlug sie auf den Schaumkronen nur wenige Meter unter ihm auf.
    Lautlos versank der leblose Körper in den Wellen. Andy rannte los. Es dauerte Stunden, bis seine Tränen versiegten.
    Unterhalb der Brandung sank Cassie immer tiefer, wurde von der trügerischen Strömung mitgerissen und blieb kurz vor dem Riss in einem alten, verrotteten Schiffsrumpf liegen. Seetang strich über ihr Haare, während die mit Steinen gefüllte Tasche und die Jeans sie weiter in die Tiefe zogen. Aus ihrem Hinterkopf sickerte dunkel das Blut. Der stete Sog und der Druck des Wassers ließen ihren Lebenssaft stärker fließen und tränkten damit den Busen ihrer Urmutter. Der Ozean nahm ihren Leichnam auf, als wäre sie endlich nach Hause zurückgekehrt.
    Ähnlich einem Rauchschleier trieb das Blut über ein schneeweißes Felsstück, das direkt neben ihrem Schädel unauffällig aus den schweren braunen Ablagerungen eines ganzen Jahrhunderts herausragte. Als die rote Flüssigkeit Schlieren zog und sich in den Wogen verteilte, blieb ein Teil davon reglos wie eine Wolke über dem Felsen hängen.
    Hätte jemand die Szene beobachtet, wäre ihm aufgefallen, dass sich der weiße Stein leicht verschob. Wenige Minuten später gleich noch einmal. Er hätte gesehen, wie sich im Schlamm so etwas wie ein Trichter auftat, als sich die Spitze des Gesteins hob und dabei eine Wolke aus Meeresstaub aufwirbelte.
    Der Beobachter hätte auch das Gelenk zu Gesicht bekommen, welches das Steinchen, das eigentlich ein Knochenfinger war, mit einem unter dem Schlamm verborgenen Knochen verband. Und er hätte den Schlamm erzittern und schließlich wegrutschen sehen, als der Knochenfinger sich mühsam einen Weg ins Freie wühlte und vier weitere Finger zum Vorschein kamen.
    Er wäre Zeuge geworden, wie die Hand sich sanft um Cassies Kopf legte, in einer beinahe mütterlichen Geste … allerdings nicht sorgend, sondern fordernd. Diese Hand nahm, sie nährte sich. Sacht strichen die Knochenfinger über die sich in der Strömung wiegenden schwarzen Locken.
    Aber es war niemand da, um den Vorfall zu beobachten.
    Niemand bekam mit, wie ein Jahrhundert lauernden Schlafs endlich sein Ende fand … dank Cassies Beschwörungsritual und der Kraft ihres Blutes.

1
    Heute
    Der Stein schoss wie eine Kugel über die Wellen, berührte flüchtig die aufbrandenden Schaumkronen. Ein-, zwei-, drei-, viermal klatschte er auf, ehe er von einer schwungvoll heranrollenden Gischtkrone verschlungen wurde und in den unerbittlichen Tiefen des Meeres versank, ohne noch einmal aufzutauchen.
    Evan zuckte die Achseln und hob einen weiteren Stein auf. Einen länglichen, grau und glatt. Diesmal schaffte er bloß zwei Sprünge, ehe die Wogen ihn für sich beanspruchten. Mein Arm ist müde, sagte er sich, und verzichtete auf einen dritten Versuch.
    Das Meer verleibte sich alles ein. Er bückte sich, hob eine Krabbenschere auf und schleuderte sie in hohem Bogen in die Gischt.
    Alles.
    Evan wischte sich eine Träne von der Wange und schlenderte weiter den Strand entlang.
    Die Nacht umfing ihn mit ihrer brausenden Stille, trotzdem vernahm er noch immer die Geräusche aus der Vergangenheit.
    Da draußen in den Wellen konnte er Josh hören, seinen Sohn. Seinen Sohn. Seinen geliebten Kleinen.
    Dad!, hatte Josh mit plötzlicher Panik in der Stimme gerufen. Und wieder: Dad!
    Und dann auf einmal nichts mehr.
    »Aufhören!«, schrie Evan, so wie fast jede Nacht. Er war auf sich selbst wegen so vieler Versäumnisse wütend, dass er sie gar nicht alle benennen konnte. Aber ganz oben auf der Liste stand mit Sicherheit seine Angst. Tatsächlich schoss ihm eine lange Reihe von Wörtern durch den Kopf. Furcht, Feigling, Angsthase, unfähig, jämmerlich, Versager, Dreckskerl, blöder Arsch … Die Selbstvorwürfe nahmen an Schärfe zu, je heißer seine Tränen brannten.
    Evan las einen weiteren Stein vom Strand auf und schleuderte ihn in die Wogen.

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