Lila Black 03 - Elfentod
sprichst du meine Sprache.«
Lila und Zal folgten Moguskul, wie Jack es befohlen hatte. Sie gingen durch schmale Straßen, unter den schiefen, überhängenden Erkern zweistöckiger Häuser und mit Eiszapfen geschmückten, schneebedeckten Dächern hindurch. Sie überschritten kleine Plätze mit Springbrunnen, deren Fontänen in der Luft gefroren waren, sodass die Tropfen regungslos schwebten. Es war klar, was dies bedeutete: In diesem Winter war nicht nur das Wetter eisig und das Land gefroren, sondern auch die Zeit. Es war niemand zu sehen, doch sie hörten viele Stimmen und sahen im warmen, gelben Licht hinter den Scheiben der Häuser und Lagerräume Bewegungen; auf ihrem Pfad fanden sich Fußabdrücke jeder Form und Größe.
»Wo sind denn alle?«, wagte Lila zu fragen, und ihr Atem gefror in der eisigen Luft.
»Wenn Wintersonnwend so nah ist, gibt es nach Sonnenuntergang eine Ausgangssperre«, sagte Moguskul. Er sagte es bedeutungsschwer und voller Gefühl. Nachdem Lila sich die Aussage noch einige Male angehört hatte, erkannte sie das Gefühl als Ärger. »Sie sind drinnen und warten auf die Dämmerung. Die Straßen sind nicht sicher.«
»Warum?«
Sie erhielt keine Antwort. Tath war gespannt wie eine Sprungfeder. Sie spürte die Antwort auch ohne Worte deutlich: Die Straßen wurden des Nachts heimgesucht. Sie warf Zal einen Blick zu und sah, dass er das Gleiche dachte. Sie mussten nicht fragen, wer der Jäger war, und Lila erschauderte unwillkürlich. Um sich Erleichterung zu verschaffen und ihren Schluss in Worte zu kleiden, fragte sie: »Aber sind das nicht Jacks Leute?«
»Es sind ihre eigenen Leute«, sagte Moguskul und lief in der gleichen, gleichmäßigen Geschwindigkeit weiter, die er seit einer halben Stunde vorlegte. »Sie warten hier in Jacks Stadt ab. Das ist alles. Hier ist es sicherer.« Den beiden letzten Worten wohnte die Bedeutsamkeit einer viel längeren Ausführung inne. Durch den Tonfall und die Betonung sagten sie aus, dass sich jede Fee in diesem Bereich des Feenreichs Jacks Macht unterworfen hatte, statt sich zu wehren. Im Herzen waren sie aufständisch und widerspenstig, aber sie waren nicht bereit, sich ihm zu widersetzen. Jetzt, wo sie sich im Lager des Feindes befanden, waren ihre Chancen auf eine erfolgreiche Revolte stark gesunken. Moguskuls wenige Worte legten trauriges Zeugnis darüber ab. Er würde es nicht direkt aussprechen. Jack lauschte immer und überall, drückte er damit aus.
Je näher sie dem Zentrum kamen, umso mehr sah die Stadt aus wie ein Postkartenmotiv. Die Gebäude wurden prächtiger, höher und ätherischer, mit Spitzen und feinem Eisschmuck, wo Menschen Eisen für die Gitter, Verzierungen oder Stangen genutzt hätten. Über allem lag eine dicke Schneedecke, die so schwer wirkte, dass man bei der nächsten Flocke befürchten musste, dass alles plattgedrückt würde. Die Welt krümmte sich unter diesem Gewicht zu weichen Winkeln und mysteriösen Kurven, weil der Wind den Schnee ablagerte und in den Gassen und Straßen eine neue Geometrie schuf. Die Geräusche wurden so sehr gedämpft, dass man kaum etwas hörte. Die goldenen Vierecke und Rauten der Fenster beleuchteten ihren Weg, doch wenn sie hindurchsah, konnte sie nur das Licht schimmern sehen, sonst nichts. Unterdessen wurde die Kälte mit voranschreitender Nacht immer unangenehmer und grausamer. Auf allen Oberflächen funkelte der Frost. Lila fand den Anblick sehr hübsch, doch dann bemerkte sie etwas auf den rauen Oberflächen und blieb stehen, um es sich anzusehen.
Erst hielt sie es für farbiges Licht, das von irgendwo zurückgeworfen wurde, aber als sie näher kam und schließlich ihre Linsen benutzte, um es zu vergrößern, erkannte sie, dass in jedem Eiskristall ein Bild gefangen war, wie eine Fotografie, die auf Mikrofilm gebannt worden war. Sie beugte sich über die Schneewehe vor ihr, um es sich genauer anzusehen. Jeder Kristall unterschied sich vom nächsten. Und die Bilder bewegten sich. Sie sah kleine Figuren und Lichtfäden, die sie zuerst nicht einordnen konnte, aber sie wiederholten sich in regelmäßigen Abständen.
Ein dicker Mann mit Bart und einem spitzen Hut sprang umher. Ein Kind lief lachend eine Straße entlang und schaute über die Schulter. Ein Lichtwirbel wurde zum anzüglich grinsenden Gesicht eines Satyrn und löste sich dann wieder auf.
Sie wiederholten sich unendlich oft.
»Gehen wir«, grollte Moguskul neben ihr. Er wollte sie an der Schulter packen, aber Zal schlug
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