Liliane Susewind – Ein kleines Reh allein im Schnee (German Edition)
kletterte in das Loch. Kurz darauf kam er wieder heraus, mit Reena auf dem Arm. Lilli und Jesahja halfen ihm dabei, das zitternde Reh heraufzuhieven, und legten es vorsichtig auf den Schnee.
»Mama!«, rief Schnapps überglücklich und schmiegte sich eng an ihre Mutter. »Das Monster hat dich ausgespuckt!«
»Alles hat sich gedreht, und dann war es plötzlich ganz dunkel«, brachte Reena schwach hervor. »Aber jetzt ist es ja vorbei.«
Mit ernstem Gesicht betrachtete Herr Susewind Reenas rechtes Vorderbein. »Das sieht nicht gut aus«, sagte er. »Offenbar ein übler Bruch. Außerdem hat sie viel Blut verloren.«
»Aber Reena wird doch wieder gesund werden, oder?«, fragte Lilli besorgt.
Ihr Vater zögerte mit der Antwort. »Ich glaube ja, aber … sie kann unmöglich einfach wieder in den Wald, Lilli. Sie schafft es ja nicht einmal aufzustehen!«
»Was sollen wir machen?«, fragte Jesahja. »Wir können sie auf keinen Fall einfach hier liegen lassen!«
»Nein!«, rief Lilli scharf.
Reena und Schnapps schauten sie erschrocken an.
»Schon gut«, winkte Lilli ab, um die Tiere zu beruhigen.
Herr Susewind überlegte. »Wir nehmen Reena und Schnapps erst einmal mit zur Hütte. Dort kann ich die Wunde versorgen.« Mit diesen Worten bückte er sich, hob vorsichtig das verletzte Reh über den Kopf auf seine Schultern und stand auf. »Wir gehen zurück«, sagte er und stiefelte los.
Lilli und Jesahja starrten ihm überrascht nach. Dann machten sie, dass sie hinterherkamen. Bonsai und Schnapps folgten ihnen durch den dichter und dichter fallenden Schnee.
Nachdem sie den Ort der Katastrophe verlassen und schon ein gutes Stück gewandert waren, hörte Lilli weit entfernte Motorengeräusche und Stimmen, die von dem Lawinenberg zu kommen schienen.
»Das müssen die Hilfsmannschaften sein«, vermutete Jesahja. »Hat bestimmt wegen dem Schneetreiben so lange gedauert.«
Lilli war erleichtert. Falls doch noch irgendjemand dort unten verschüttet lag, würden die Hilfskräfte ihn bestimmt finden. Sie war froh, dass sie sich darum keine Gedanken mehr machen mussten. Ihre Sorge galt nun ganz allein Reena und Schnapps.
Unerwartete Hilfe
Herr Susewind trug das verletzte Reh auf seinen Schultern den weiten Weg zur Hütte hinauf. Lilli konnte ihm ansehen, wie schwer ihm das in dem immer tiefer werdenden Schnee fiel, und bewunderte ihren Vater für seine Stärke.
Nach einer scheinbar endlosen Wanderung erreichten sie schließlich die Berghütte. Sobald sie durch die Tür traten, eilten ihnen Lillis Mutter und Oma entgegen.
»Alles in Ordnung?« Lillis Oma musterte ihre abgekämpften Gesichter. »Geht es euch gut?«
Lillis Mutter wies überrascht auf das Reh, das ihrem Mann quer über den Schultern lag. »Was bringt ihr denn da mit?«
»Das Reh hat ein gebrochenes Bein«, erklärte Lillis Vater und stapfte mit angestrengtem Gesicht ins Wohnzimmer. Alle folgten ihm. Vor dem flackernden Kamin legte er Reena auf einem großen Handtuch ab, das Oma rasch geholt hatte.
Frau von Schmidt, die in ihrem Pupsi -Anzug auf dem Kaminsims schlummerte, wachte auf und hob müde den Kopf. Dann seufzte sie tief, schloss wieder die Augen und schien ungerührt mit ihrem Winterschlaf-Projekt weiterzumachen.
»Wo sind meine Eltern?«, fragte Jesahja, während er seine Handschuhe und seinen Schal auszog.
»Im Bett«, antwortete Oma. »Sie müssen sich schonen.«
Jesahja nickte, nahm seine Mütze ab und schüttelte sich seufzend Schnee aus den Haaren. Die Wanderung schien ihn ausgelaugt zu haben.
»Das Reh sieht nicht gut aus«, bemerkte Oma, und Lilli musste ihr recht geben. Reena atmete schwer. Sie schien außerdem so müde zu sein, dass sie kaum noch die Augen offenhalten konnte.
»Oh! Da ist ja noch eins!«, entfuhr es Oma, als Schnapps nun zu ihrer Mutter stakste und sich neben sie legte. »Ist das Kleine auch verletzt?«
»Nein, zum Glück nicht.«
»Das Reh blutet ja!«, rief Lillis Mutter. »Ferdinand, kannst du ihm helfen?«
Lillis Vater war bereits auf dem Weg in die Küche. Gleich darauf kam er mit einer Schüssel warmen Wassers und sauberen Küchenhandtüchern zurück. Konzentriert kniete er sich neben Reena und machte sich daran, ihr Bein vom Blut zu säubern. »Hilf mir mal, Lilli«, bat er.
Lilli setzte sich neben ihn und reichte ihm an, was er brauchte.
»Ich muss das Bein schienen«, sagte ihr Vater. »Gib mir bitte den langen Ast da vorn.« Beim Brennholz neben dem Kamin lag ein stabiler, gerader Ast, den Lilli ihm
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