Liliane Susewind – Ein kleines Reh allein im Schnee (German Edition)
Beruf als Fernsehmoderatorin stand sie ständig unter Strom.
»Endlich Ferien!«, rief ihre Mutter strahlend. »Ich bin total entspannt!« Schon sang sie weiter. »Oh what fun dududidu, jingle bells juhu …« Sie nahm Lillis Hand und drehte ihre Tochter übermütig im Kreis. »Hey! Jingle bells, jingle bells …« Ausgelassen machte sie selbst eine Drehung.
Lilli lachte. So guter Laune war ihre Mutter seit Ewigkeiten nicht mehr gewesen!
»Welch grausige Klänge entfleuchen der Dame des Hauses da nur?«, miaute Frau von Schmidt. Die Katze saß auf einem Koffer und schien wenig begeistert. »Dieses Gekreische ist zweifellos eine klassische Form von Krawall! Und das überreizt meine sensiblen Sinne«, näselte sie und wandte sich empört ab.
Bonsai hingegen hüpfte begeistert zwischen Lilli und ihrer Mutter hin und her, als die beiden nun durch den Flur tanzten und aus vollem Halse Jingle bells schmetterten, ohne den Text genau zu kennen.
Lilli hielt ihre Mutter an den Händen, sang und lachte, und die Yucca-Palme im Flur wuchs um mehrere Zentimeter in die Höhe.
Das Telefon klingelte. Frau Susewind griff lachend nach dem Hörer und warf ihn Lilli übermütig zu. Lilli fing ihn und ging außer Atem dran. Es war Jesahja.
»Hi«, sagte er, »ist Schmidti bei euch? Es ist ganz schön kalt draußen …«
»Ja, sie ist hier«, bestätigte Lilli. Die Katze war öfter bei den Susewinds als bei ihren eigentlichen Besitzern, Jesahjas Familie, anzutreffen. »Sie ist schlechter Laune.«
»Sag nicht so was!«, witzelte Jesahja, der die Empfindlichkeiten der Katzendame gut kannte.
»Leider doch. Die garstige Frostigkeit hat sie darniedergestreckt.«
Jesahja lachte. »Tut mir leid, wenn sie dir die Ohren volljammert.«
Im Hintergrund hörte Lilli Jesahjas Mutter rufen: »Was trödelt ihr denn so? Wir hätten schon vor zehn Minuten fertig sein sollen!«
»Nur noch die Bücher, Mama!«, antwortete Jesahja. Dann sagte er an Lilli gewandt: »Hilf mir mal kurz. Ich überlege gerade, welche Bücher ich einpacken soll. Ich will in den Ferien ganz viel lesen.«
»Das hast du beim letzten Urlaub auch gesagt, aber du hast kein einziges Buch komplett geschafft!«, entgegnete Lilli lachend.
»Weil DU ständig irgendwelche Sachen mit Tieren erlebst, die interessanter sind …« Lilli konnte hören, dass Jesahja grinste. »Aber dieses Mal sind nicht nur deine, sondern auch meine Eltern dabei! Da wird ja wohl kaum was Aufregendes passieren.«
»Stimmt«, bestätigte Lilli und konnte sich nicht vorstellen, dass in diesem Urlaub irgendein Abenteuer auf sie wartete …
Aufbruch
Zwei Stunden später waren die Koffer, Tüten und Körbe noch immer nicht vollständig im großen Kombi der Susewinds verstaut. Die Sturmwagners waren ebenso wenig reisefertig. Jesahjas Vater Akeele, ein gutaussehender, großer Mann mit dunkler Haut, hatte den Jeep der Sturmwagners neben den Kombi der Susewinds geparkt. Er, Jesahja und Jesahjas Mutter, eine hübsche Frau, die Isabell hieß, liefen nun ebenso geschäftig zwischen ihrem Haus und ihrem Auto hin und her wie Lillis Familie.
Lilli half ihrer Oma dabei, die Skiausrüstung im Kofferraum unterzubringen. Als sie wieder aus dem Wagen kletterte, sah sie, dass Frau von Schmidt neugierig aus der Haustür herauslinste … und sofort zurückzuckte. »Frost! Grässlicher, garstiger Frost!« Als sie Lillis Blick bemerkte, fügte sie wehklagend hinzu: »Diese Zustände sind unzumutbar!«
Lilli kräuselte nachdenklich die Stirn. Frau von Schmidt und Bonsai würden natürlich mit in den Urlaub kommen. In den Bergen war es allerdings bestimmt noch kälter als hier …
»Worüber regt Schmidti sich jetzt wieder auf?«, fragte Jesahja, der gerade eine Kiste mit Büchern im Jeep verstaute.
»Immer noch die Kälte …«, murmelte Lilli.
»Kein Wunder. Katzen sind physiologisch gesehen Wüstentiere«, erklärte Jesahja. Er war außergewöhnlich intelligent, und sein Kopf war wie ein Lexikon. »Das heißt: Katzen haben es gern warm.«
»Macht Schmidti im Winter immer so ein Theater?«
»Als es letztes Jahr so kalt war, haben wir uns wochenlang ihr Protestmiauen anhören müssen. Hoffentlich wird es dieses Jahr nicht wieder so schlimm …« Jesahja stellte sich neben Lilli, betrachtete das hinter der Tür hervorlugende, mürrische Katzengesicht und kratzte sich am Hinterkopf. Das tat er immer, wenn er angestrengt nachdachte. Bestimmt würde ihm gleich etwas einfallen, das Frau von Schmidt
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