Liliane Susewind – Mit Elefanten spricht man nicht! (German Edition)
zusammen, ging rasch zwei Schritte rückwärts, hob den Rüssel und brüllte: »Aufhören! Geht weg! Die Männer sollen weggehen!«
Herr Özgür wurde kreidebleich vor Schreck und wandte sich schon ängstlich in Richtung der Käfigtür, da ergriff Lilli das Wort.
»Ist schon gut, Marta. Die Männer wollen dir helfen. Wenn du jetzt ganz ruhig stehst, können sie etwas gegen deine Schmerzen tun.«
Marta schnaufte und ließ langsam den Rüssel sinken.
»Komm wieder ein paar Schritte nach vorn«, bat Lilli die Dickhäuterin. »Stell dich am besten neben die Leiter.«
Und Marta trottete gehorsam zwei Schritte nach vorn, direkt neben die Klappleiter. Dem Arzt stand vor Staunen der Mund offen, und die Augenbraue der Direktorin erreichte fast ihren Haaransatz. Beide sagten kein Wort, sondern starrten Lilli nur entgeistert an. Der Pfleger räusperte sich und stieß dümmlich hervor: »Das Mädchen kann mit Marta sprechen.«
Die Direktorin ignorierte ihn und trat stattdessen näher an Lilli heran. »Unglaublich«, murmelte sie, fasste Lilli am Kinn und drehte ihren Kopf hin und her. »Faszinierend.« Dann schnippte sie scharf mit den Fingern. »Özgür? Ohren!«, befahl sie, ohne den Blick von Lilli abzuwenden. Sie nickte nachdenklich und drehte Lillis Gesicht noch mehr ins Licht, als wäre dem Mädchen des Rätsels Lösung anzusehen. Lilli ließ sich geduldig begutachten und beobachtete Marta aus den Augenwinkeln. Die Elefantin stand ergeben da, während Herr Özgür auf die Leiter kletterte und zuerst ihr rechtes und dann ihr linkes Ohr untersuchte.
»Und?«, rief die Zoodirektorin zu ihm hinüber.
»Eine vereiterte Entzündung«, erwiderte der Tierarzt. »In beiden Ohren. Schon einige Wochen alt.«
»Woher wusstest du das?«, fragte die Direktorin und piekste mit dem Zeigefinger auf Lillis Brust.
»Marta hat es mir gesagt«, presste Lilli kaum hörbar hervor. Die Frau schüchterte sie ein.
»Es ist also nicht nur so, dass sie dich versteht – du verstehst sie auch?«
»Mhm.«
»Erstaunlich … ganz erstaunlich!« Die Direktorin verschränkte die Hände hinter dem Rücken und begann vor dem Gehege auf und ab zu gehen. Lilli, der Pfleger, der Arzt und Marta sahen ihr reglos zu und wussten nicht, ob sie sich rühren durften.
»Meier!«, bellte die Direktorin schließlich mit schneidender Stimme, die nicht nur Marta zusammenfahren ließ. »Es ist Ihre Aufgabe, sich um dieses Tier zu kümmern. Dazu gehören auch die Ohren!«
»Ja, ähm …«, setzte der Pfleger an, doch seine Chefin schnitt ihm das Wort ab.
»Sie sind Pfleger , Herrgott nochmal! Seit wann haben Sie dieses Tier vernachlässigt?«
»Ich habe nicht … äh …«
»Meier, Sie sind gefeuert!«
»Sie können doch nicht –«
»RAUS!«, brüllte die Direktorin und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die Tür. Marta schüttelte sich und brüllte: »Sie soll still sein!«
»Was hat sie gesagt?«, fragte die Zoodirektorin Lilli daraufhin und deutete auf Marta.
»Oh, also, Sie sollen still sein … bitte«, übersetzte Lilli kleinlaut. Die große Frau nickte jedoch einsichtig. »Sag Marta, dass es mir leidtut.«
»Es tut ihr leid«, wandte sich Lilli wieder an die Elefantin.
»Ach was, sie schreit doch schon die ganze Zeit«, beschwerte sich Marta mit müder Stimme. Lilli übersetzte diesen Zusatz nicht, sondern blickte dem Pfleger nach, der gerade mit beleidigter Miene das Haus verließ.
»Özgür? Können Sie etwas gegen die Entzündungen tun?«, wollte die Direktorin wissen.
»Ja«, versicherte der Arzt, »ich könnte –«
»Tun Sie’s!«
»Jawohl!« Herr Özgür holte sofort seinen Arztkoffer.
»Und nun zu dir.« Die Direktorin richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Lilli, die schwer schlucken musste. »Kannst du nur mit Elefanten sprechen oder auch mit anderen Tieren?«
»Auch mit anderen.«
»Tatsächlich? Mit welchen?«
»Äh, mit allen.«
»Mit allen? Mit Vögeln?«
Lilli nickte.
»Affen?«
Lilli nickte wieder.
»Pinguinen?«
»Also, äh, ich glaube schon.«
»Bist du daran interessiert, noch mehr Tieren zu helfen?«
Lilli runzelte die Stirn. Worauf wollte die Frau hinaus?
»Weißt du«, fuhr die Direktorin fort, »jemanden wie dich könnten wir hier im Zoo gut gebrauchen. Einigen Tieren geht es nicht sehr gut. Wenn du uns sagen könntest, was ihnen fehlt –«
»Die meisten langweilen sich nur!«, wagte Lilli zu unterbrechen.
»Ja, das stimmt. Aber wir haben auch schwierigere Fälle. Eine Eule, die schon drei
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