Liliane Susewind – Rückt dem Wolf nicht auf den Pelz! (German Edition)
zurück und knurrte: »Nicht anfassen!«
»Beiß mich bloß nicht!«, rief der Mann erschrocken und hob die Hände. Dann lachte er plötzlich wieder. »Schon gut. Es ist ja kein Wunder, dass ihr misstrauisch seid. Das wäre ich an eurer Stelle bestimmt auch. Ob Hund oder ob Mensch! Ihr zwei könnt aber ruhig auch etwas essen«, sagte er an Lilli und Jesahja gewandt. Dann griff er nach einem Stück Toast und biss herzhaft hinein. »Ihr könnt mir glauben«, redete er kauend weiter, »ich hätte mir nicht die Mühe gemacht, euch hierherbringen zu lassen, wenn ich euch vergiften wollte.«
Jesahja griff nach einem der Becher und trank den heißen Kakao. Lilli guckte ihm verwundert dabei zu. Hatte dieser Mann Jesahja etwa schon überzeugt?
»Er hat recht«, erklärte Jesahja. »Wenn er uns vergiften wollte, hätte er das gleich gestern machen können.«
»Genau!«, pflichtete der Mann ihm mit breitem Lächeln bei.
Lilli war zwar noch immer misstrauisch, aber sie hatte Hunger. Also nahm sie sich einen Teller, schmierte sich einen Marmeladentoast und biss hinein.
Jesahja tat es ihr nach und begann mit sichtlichem Appetit zu essen.
»Es tut mir leid, dass wir gestern so grob zu euch sein mussten«, fuhr der Mann im Plauderton fort. »Es ging leider nicht anders.«
Lilli und Jesahja beäugten ihn schweigend. Frau von Schmidt hatte sich mittlerweile auch an einen Napf herangeschlichen und fraß nun ebenfalls.
»Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen.« Der Mann schien sich sehr darum zu bemühen, möglichst nett zu klingen. »Man nennt mich Midas.«
Jesahja hob die Augenbrauen. »Midas ist eine mythologische Gestalt …« Jesahja war hochbegabt, und sein Kopf war wie ein Lexikon. Lilli hingegen hatte keine Ahnung, was eine mythologische Gestalt sein sollte. Jemand aus einem Märchen?
»Das ist richtig!«, bestätigte Midas strahlend. »Du bist wirklich sehr schlau, mein Junge.«
Jesahja verzog den Mund. Es gefiel ihm offensichtlich nicht, von diesem Mann »mein Junge« genannt zu werden.
»Du kennst die berühmte Sage!« Midas nickte anerkennend. »Sie besagt, dass sich alles, was König Midas berührte, in reines Gold verwandelte«, berichtete er und lächelte verschmitzt. »So jemand bin ich auch. Ich bin ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, müsst ihr wissen. Alles, was ich anfasse, wird praktisch zu Gold.« Er strahlte und zeigte seine perfekten, perlweißen Zähne. »Und deswegen bist du hier, meine liebe Liliane.«
Lilli blieb der Bissen Toast im Hals stecken, an dem sie gerade gekaut hatte.
»Ich habe im Fernsehen und in den Zeitungen genau verfolgt, was über dich berichtet wird. Und ich glaube, deine Gabe könnte die Welt verändern, liebe Liliane.«
Lilli würgte den Bissen krampfhaft hinunter. Die Art, wie Midas »liebe Liliane« sagte, gefiel ihr ganz und gar nicht.
Da fragte Jesahja: »Sie möchten Lillis Gabe also für sich nutzen?«
Lillis Rücken versteifte sich. Darum ging es hier?
»Du bist wirklich außergewöhnlich schlau«, murmelte Midas und musterte Jesahja mit stechendem Blick. Einen Augenblick später setzte er jedoch schon wieder seine Maske aus Freundlichkeit auf. »Sagen wir doch einfach, es wäre toll, wenn Liliane mir helfen würde, ihre wunderbare Gabe für einen guten Zweck zu nutzen.«
»Ich soll für Sie mit Tieren sprechen?«, fragte Lilli mit sehr kleiner Stimme.
Midas schüttelte betont wohlwollend den Kopf. »Nein, mein Kind. Darum geht es nicht.«
Lilli zog verwirrt die Stirn in Falten.
»Ich möchte, dass du mir hilfst, Pflanzen zum Wachsen zu bringen.« Midas lächelte wieder dieses breite, falsche Lächeln.
Jesahja schien ebenso irritiert zu sein wie Lilli. »Es geht um Pflanzen?«
»Ja. Wisst ihr, ich habe eine wunderbare Idee – eine Vision!« Midas strahlte. »Aber um diese Vision verwirklichen zu können, brauche ich Liliane.«
Lilli verstand nun gar nichts mehr. Sie hatte keinen blassen Schimmer, was eine Vision war. Was wollte dieser Mann von ihr?
»Ich werde es euch zeigen.« Midas stand auf. »Folgt mir.«
Das Camp
Lilli und Jesahja tauschten einen schnellen Blick. Es blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als Midas zu folgen. Eigentlich erschien Lilli die Aussicht, aus dem engen Wohnwagen herauszukommen, sogar verlockend.
Als Bonsai und Frau von Schmidt sahen, dass Lilli und Jesahja den Wohnwagen verlassen wollten, hüpften sie sofort vom Tisch. »Ich hoffe doch sehr, dass außerhalb dieses garstigen Kastens ein geschmackvolleres
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