Liliane Susewind - So springt man nicht mit Pferden um
der teilnehmenden Trainer quält sein Pferd. Sein Name ist Egobert …« Jesahja geriet ins Stocken. Sie kannten Egoberts Nachnamen gar nicht! Jesahja sprach jedoch so schnell weiter, dass das nicht weiter auffiel. »Er benutzt eine durchblutungsfördernde Salbe, mit der er vor dem Springen die Beine seines Pferdes einreibt.«
Die Frau vom Komitee verzog den Mund. »Und woher wollt ihr das so genau wissen?«
»Wir haben es eben gesehen. Außerdem kennen wir den Mann schon länger. Das Pferd, das er vorher geritten hat, wurde ebenfalls von ihm gequält.«
Die Dame hörte mit skeptischem Gesicht zu und schien Jesahja nicht für voll zu nehmen. Ihre nächsten Worte bestätigten das. »Na, das sind ja wilde Räubergeschichten, die ihr da verbreitet!« Sie lachte, doch ihre Augen lachten nicht mit. »Ich würde euch dringend raten, das nicht weiter herumzuerzählen. Das Thema ist zu ernst, als dass man sich damit einen Scherz erlauben sollte.«
»Das ist kein Scherz!«, protestierte Lilli.
»Jetzt ist es aber genug!« Die Frau machte eine herrische Handbewegung. »Wenn ihr nicht sofort damit aufhört, werde ich mit euren Eltern sprechen müssen. Sind sie hier?«
Als Lilli und Jesahja nichts erwiderten, schaute die Frau sie tadelnd an und entfernte sich.
»Verdammt«, presste Jesahja zwischen den Zähnen hervor.
»Hier seid ihr!«, rief plötzlich eine Stimme. Tom drängte sich durch das immer dichter werdende Gewimmel zu ihnen durch. »Lilli, du musst Merlin noch aufwärmen!«
»Ja, ich komme«, antwortete Lilli. Jesahja und sie folgten Tom mit hängenden Köpfen zurück zu den Jansens.
Chaos auf dem Springparcours
Etwa eine Stunde später war es so weit. Das Turnier begann. Es fand auf einem professionellen Springparcours statt, der auf Lilli mehr als einschüchternd wirkte. Merlin hingegen freute sich wie wild, endlich wieder auf einem »großgigantischen Expertenplatz« springen zu dürfen, und seine Begeisterung half Lilli, sich ein wenig zu beruhigen.
Lillis Familie saß im Zuschauerraum und wartete gespannt. Lilli konnte ihre erwartungsvollen Gesichter in der Menge sehen, ihr Vater hatte sogar eine Videokamera dabei. Doch bei genauerem Hinsehen wirkte die Miene ihrer Mutter eher angespannt als erwartungsvoll. Lilli nahm sich noch einmal vor, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten.
Die Jansens hatten ihr die Regeln des Turniers erklärt, aber Lilli war nicht sicher, ob sie wirklich alles verstanden hatte. Sie wusste nur, dass alle Teilnehmer nach einer ausgelosten Reihenfolge ritten und die Besten später noch einmal in einem Stechen gegeneinander antreten würden. Bewertet wurden sowohl die Schnelligkeit als auch das fehlerfreie Springen über die Hindernisse.
»Egobert reitet zuerst«, sagte Jesahja, der neben Merlin und Lilli stand. Storm, Tom und die übrigen Jansens warteten ebenfalls neben ihnen. Von ihrem Platz am Eingang des Parcours aus konnten sie gut verfolgen, was geschah.
Da ritt Egobert schon auf Schnee heran. Die weiße Stute war ein bildhübsches Tier, aber in ihren Augen lag Furcht. Der Anblick schnürte Lilli die Kehle zu.
Egobert musste an ihnen vorüberreiten, um auf den Parcours zu kommen. Dabei entdeckte er Lilli, Jesahja und die Jansens. Sofort nahm seine Miene einen feindseligen Ausdruck an, und seine Blicke waren wie Pfeile.
Als Storm seinen alten Peiniger sah, wich er schlagartig zurück. »Er …«, schnaubte er. » Er ist hier …« Tom hatte alle Mühe, den scheuenden Hengst festzuhalten.
»Er wird dir nichts tun!«, raunte Lilli Storm zu. »Das verspreche ich! Am besten schaust du nicht in seine Richtung.« Der Hengst hielt einen Moment lang inne, dann trat er wieder ein paar Schritte vor, neben die anderen. »Gut …«, brummte er mit tiefer Stimme. »Ich schaue nicht hin.«
Gleich neben ihnen musste Egobert anhalten, um mit einem der Schiedsrichter zu sprechen. Während er das tat, beugte Schnee den Kopf zu Lilli herunter. »Du bist das pferdesprechende Mädchen, nicht wahr?«, fragte sie leise.
»Ja.« Lilli blickte das schöne Pferd traurig an. »Wie geht es dir?«
»Ich möchte nicht springen. Aber ich muss. Obwohl meine Beine wie Feuer brennen.« Schnee schüttelte sanft ihre weiße Mähne. »Mein Mensch ist kein guter Mensch.«
»Wir kennen ihn auch«, bemerkte Merlin. »Er war auf unserem Hof, und er ist der fiesböseste Mensch, den es gibt! Er hat mal nach mir getreten!«
»Wirklich?«, fragte Lilli, da ritt Egobert schon weiter, und Schnee
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