Liliane Susewind - So springt man nicht mit Pferden um
musste wohl oder übel mit ihm auf den Parcours. Die Stimme des Ansagers, die blechern über den ganzen Platz schallte, nannte Egoberts und Schnees Startnummer, und gleich darauf ging es los. Egobert trieb die Stute unsanft an, und Schnee verfiel in einen raschen Trab. Sie bewegte sich leichtfüßig und flink, doch ihr Widerwille stand ihr ins Gesicht geschrieben. Lilli fragte sich, ob das außer ihr niemand bemerkte.
Schnee schwang sich mit federnden Schritten über die ersten Hindernisse. Egobert hielt die Zügel so stramm, dass sie sich kaum bewegen konnte, aber die schöne Stute nahm auch jede weitere Hürde ohne sichtbare Mühe. Sie war schnell, und sie sprang fehlerfrei. Als sie jedoch das letzte Hindernis anvisierte, hatte sie während des Anlaufens Probleme und riss beim Sprung die oberste Stange herunter.
»Ahhh …«, ächzte sie vor Schmerz, und das Geräusch ging Lilli durch Mark und Bein. Neben ihr stampfte Storm mit dem Huf auf. »Beinfeuer …«, schnaubte er wütend. »Reibt er sie mit Beinfeuer ein?« Lilli schwieg bedrückt.
Der Ansager verlas die Zeit und die Punktzahl der beiden. Sie hatten eine sehr gute Wertung. Doch als Egobert vom Platz ritt, hatte Lilli das Gefühl, dass er trotz der guten Punktzahl innerlich vor Wut schäumte. Würde er Schnee für den verpatzten letzten Sprung bestrafen?
Es ritten nun mehr als zwanzig andere Teilnehmer, und die meisten waren schlechter als Egobert und Schnee. Dann waren Lilli und Merlin dran. Als Lilli auf den Schimmel aufstieg, schlug ihr Herz zum Zerspringen.
»Das wird schon!«, rief Annabell ihr zu, und Jesahja zeigte ihr den erhobenen Daumen. Lilli lächelte schief.
»Geht’s jetzt los?«, fragte Merlin aufgeregt. »Sind wir jetzt dran? Also, von mir aus könnten wir jetzt …«
Lilli klopfte ihm sachte auf die Schulter. »Ja, jetzt geht es gleich los.«
»Jippi-i-ieh!«, wieherte Merlin und schoss nach vorn.
Der Ansager hatte sie allerdings noch nicht vollständig angesagt, und so mussten sie noch einmal zum Startpunkt zurück. Das trübte Merlins Begeisterung jedoch nicht im Mindesten. »Jetzt? Jetzt?«, fragte er, und als Lilli ihm mit den Beinen endlich das Signal zum Start gab, wieherte er laut: »Ja-a-a!« und trabte schwungvoll los. Sobald sie auf dem Parcours waren, spannte Merlin sämtliche Muskeln an und konzentrierte sich auf jeden seiner Schritte. Aufmerksam steuerte er auf das erste Hindernis zu. Lilli sah im Vorbeireiten ihren Vater und ihre Oma, die ihr aufgeregt zuwinkten. Ihr Vater hatte die Videokamera vor dem Gesicht, winkte aber trotzdem. Ihre Mutter hielt die Arme verschränkt.
Lilli versuchte, sich auf den Ritt zu konzentrieren. Merlin setzte zum Kurzgalopp an und sprang graziös über die erste Hürde. Gleich darauf jubelte er. »Ja! Ha! Einfach drüber. So richtig steilhoch drüber. Das war gut, was?«
Da kam schon das nächste Hindernis. Auch über dieses sprangen sie ohne Probleme. Sie flogen regelrecht hinüber, ebenso wie über die folgenden Hürden. Eine nach der anderen nahmen sie fehlerfrei, und jedes Mal, wenn sie nach dem Sprung aufsetzten, jauchzte Merlin vor Freude. »Ich bin ein Wu-u-underpferd!«, krakeelte er übermütig, und die anderen Pferde am Rande des Parcours schnaubten beeindruckt ihre Zustimmung.
Schließlich hatten sie alle Hindernisse hinter sich gebracht – ohne einen einzigen Fehler gemacht zu haben! Als der Ansager ihre Zeit verlas, stellte Lilli jedoch fest, dass sie langsamer gewesen waren als die anderen Pferde. Einen kurzen Moment lang war sie enttäuscht. Als Merlin aber erneut aufjauchzte und sich über den »bestherrlichen Extraexpertenritt aller Zeiten« freute, ritt sie mit glücklichem Gesicht vom Platz.
Als sie sich wieder zu den Jansens gesellten, rief Wolke mit roten Wangen: »Ihr wart super!«
»Einfach spitze«, stimmte Slavika zu.
Lilli stieg ab und merkte, dass ihre Knie sich weich wie Butter anfühlten. Das Ganze war furchtbar aufregend gewesen.
»Du bist ein Star!«, sagte Jesahja grinsend. Aber sie hatten nicht viel Zeit, sich über Lillis Ritt zu unterhalten, denn nun waren Storm und Tom an der Reihe.
Wolke schien aufgeregter zu sein als ihr Bruder. Sie rückte immer wieder ihre Brille zurecht und hüpfte von einem Bein auf das andere.
Tom hingegen stand konzentriert vor dem Hengst, lehnte seine Stirn gegen Storms Stirn und sprach leise mit ihm. Obwohl der Hengst nicht verstand, was Tom sagte, konnte man sehen, wie vertraut die beiden inzwischen miteinander
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