Liliane Susewind – Tiger küssen keine Löwen (German Edition)

den Eindruck, als ob sie dir ganz dringend etwas sagen will«, bemerkte Trina.
    Lilli trat näher an das Terrarium heran. »Hallo Kobra.« Sie klopfte gegen die Glasscheibe.
    Die Schlange reagierte nicht.
    Lilli war überrascht. Normalerweise zeigten Tiere doch sofort eine Reaktion, wenn sie Lilli sahen, und vor allem dann, wenn sie etwas zu ihnen sagte …
    Vielleicht lag es an der dicken Glasscheibe. Höchstwahrscheinlich konnte die Kobra sie durch das Glas kaum hören.
    Lilli rief mit lauter Stimme: »Hallo Kobra! Kannst du mir sagen, ob es dir gut geht?«
    Die Giftschlange blickte Lilli nun an und züngelte schneller.
    Lilli beobachtete das Tier nachdenklich. »Es sieht aus, als ob sie zischt. Aber durch die Glasscheibe höre ich sie nicht.«
    »Soll ich den Käfig aufschließen?«, fragte Trina. »Ich habe die Schlüssel für alle Terrarien im Reptilienhaus, weil ich hier ja immer putzen muss.«
    Lilli wunderte sich, wie hilfsbereit Trina plötzlich war. Aber wahrscheinlich wollte sie einfach so schnell wie möglich mit der Arbeit fertig werden.
    »Moment mal«, hielt Jesahja Trina zurück, die gerade das Schlangenterrarium öffnen wollte. »Irgendwie kommt mir die Sache merkwürdig vor.«
    Trina stöhnte. »Stell dich nicht so an! Wie alt bist du denn? Zwei?«
    Jesahja kratzte sich hektisch am Hinterkopf. »Ich hab das Gefühl, als hätte ich irgendwas Wichtiges vergessen.«
    Lilli war ganz flau im Magen. Irgendetwas an der Situation war sonderbar, aber sie konnte nicht sagen, was.
    »Ich mach den Käfig jetzt auf«, verkündete Trina.
    »Nein, warte!«, widersprach Jesahja.

    Trina ballte wütend die Faust. »Langsam gehst du mir echt auf den Zeiger!«
    »Das ist zu gefährlich.« Jesahjas Tonfall verriet Besorgnis und Misstrauen. »Die Kobra ist eine der giftigsten Schlangen der Welt.«
    Lilli neigte konzentriert den Kopf. »Wenn der Käfig erst mal offen ist, kann mich die Schlange besser verstehen. Sie wird uns bestimmt nichts tun, wenn sie begreift, was ich sage.«
    »Ich hab irgendwas vergessen«, murmelte Jesahja erneut.
    In diesem Moment betrat Bao das Reptilienhaus. Er trug wie immer seine Tigerschuhe. »Ich habe laute Stimmen gehört …«, sagte er schüchtern. Dann weiteten sich seine Augen. »Was macht ihr da bei der Kobra?«, rief er. »Geht da weg!«
    Lilli wunderte sich über die Angst in Baos Stimme. »Wir wollen den Käfig öffnen, um –«
    »Seid ihr wahnsinnig?«
    Lilli wurde es angesichts von Baos Panik noch unbehaglicher zumute. »Vielleicht sollten wir uns das Ganze doch nochmal überlegen …«
    »Zu spät. Ich hab den Käfig schon aufgeschlossen«, ertönte da Trinas Stimme.
    Lilli und Jesahja fuhren herum. Zwischen ihnen und der Giftschlange war nun kein schützendes Glas mehr.
    »Ihr seid lebensmüde!«, schrillte Bao. »Macht sofort wieder den Käfig zu!«
    Lilli versuchte, ihn zu beruhigen. »Ich spreche jetzt mit der Kobra, sie wird uns ganz bestimmt nicht angreifen.« Mit zitternder Stimme begann sie: »Hallo Kobra. Ich … äh …«
    Die Schlange glitt mit leichten, schlängelnden Bewegungen über den sandigen Boden des Käfigs. Ihr Zischen war sehr leise, und Lilli verstand lediglich »endlich frei sein«, »entwischen« und etwas Ähnliches wie »Menschen stören mich«.
    »Ich … verstehst du, was ich sage?« Lillis Kehle war wie ausgedörrt.
    Die Kobra reagierte nicht auf ihre Frage.
    »Hallo …«
    Keine Reaktion.
    Lilli wurde aschfahl.
    »Jetzt hab ich’s!«, platzte Jesahja heraus. »Jetzt weiß ich, was ich vergessen habe: Schlangen sind taub! Schlangen können nicht hören, Lilli! Die Kobra kann dich nicht verstehen!«
    »Richtig, Schlaumeier«, sagte Trina mit gemeinem Lachen. Sie stand einige Meter entfernt, in sicherem Abstand zu der Schlange. »Bei der Kobra nützen Lillis Zaubertricks rein gar nichts. Ihr seid geliefert.« Mit diesen Worten rannte Trina zum Ausgang, knallte die Tür hinter sich zu und schloss von außen ab.
    Lilli spürte, wie ihre Knie mit einem Mal butterweich wurden. Trina hatte sie im Reptilienhaus eingesperrt. Mit einer giftigen Kobra, die sie nicht verstehen konnte!
    Von der anderen Seite der Tür drang hämisches Gelächter. »Ich habe euch doch gesagt, dass ihr alles doppelt und dreifach zurückkriegt!« Das war Trixis Stimme. Trixi und Trina hatten sie in die Falle gelockt und lachten nun herzhaft darüber, dass sich Lilli, Jesahja und Bao in Lebensgefahr befanden.
    »Der Armleuchter mit den Tigerschuhen ist auch da drin«, hörten