Liliane Susewind – Tiger küssen keine Löwen (German Edition)
abgeschlossen. Da habe ich dich schreien gehört, Bao. Du hast geschrien, dass die Schlange euch beißen wird! In diesem Moment wusste ich, dass das eingetreten war, wovor ich immer Angst hatte.« Herr Pong wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. »Ich bin losgerannt und habe die Direktorin und Finn Landmann geholt, weil die beiden die richtigen Schlüssel haben. Und als wir kamen, hörten wir das Fauchen der Tiger.«
Lilli wurde flau im Magen. Herr Pong und die anderen hatten Shankar gehört! Nun kam doch noch alles heraus und sie und Finn würden sicherlich gefeuert werden.
Da fiel Lilli auf, dass Jesahja ein Grinsen unterdrückte. Worüber freute er sich bloß? Sie waren so gut wie aufgeflogen!
Herr Pong rang aufgeregt die Hände. »Die Tiger haben euch gerettet!«
»Papa …«
»Deswegen habe ich dir diese Schuhe geschenkt, Bao. Für genau solch eine Situation! Du bist angegriffen worden und die Tigerschuhe sind zum Leben erwacht!«
»Das … nein, wir …« Bao wusste nicht, was er sagen sollte.
»Es ist schon in Ordnung, Bao«, sagte Herr Pong in beruhigendem Tonfall. »Du kannst es ruhig zugeben. Wir alle glauben dir. Die Schuhe sind lebendig geworden, und als die Tiger die Schlange vertrieben hatten, sind wieder Schuhe aus ihnen geworden. Da sind sie ja!« Er wies auf die Pantoffeln, die in der Mitte des Raumes auf dem Boden lagen. »Außerdem haben wir das Fauchen der Tiger selbst gehört!«
»Das war ein –«, begann Lilli und wollte »Löwe« sagen, doch Jesahja trat ihr auf den Fuß. Lilli verstummte.
»Nun hat sich meine Vorsicht ausgezahlt«, fuhr Herr Pong mit leuchtenden Augen fort. »Die Tigerschuhe haben meinem Sohn das Leben gerettet!«
Nun begriff Lilli endlich, warum Jesahja grinste. Wenn alle glaubten, dass die Tigerschuhe zu echten Tigern geworden waren und gefaucht hatten, mussten sie nicht mehr erklären, woher das Brüllen in Wahrheit gekommen war.
Als Lilli die Direktorin ansah, wurde ihr allerdings klar, dass Frau Essig-Steinmeier diese Geschichte niemals glauben würde. Die nächsten Worte der Direktorin überraschten Lilli jedoch. »Mein lieber Herr Ping … äh, Pong.« Die Direktorin räusperte sich. Normalerweise konnte sie sich Namen sehr gut merken. »Im Grunde interessiert mich nur eines: Wieso arbeiten Sie noch in unserem Zoo, wenn Sie so ungern hierherkommen?«
Herr Pong öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder, ohne etwas zu sagen. Die Frage schien ihn zu verunsichern.
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte Frau Essig-Steinmeier in ermutigendem Ton, »ich will Sie nicht entlassen. Im Gegenteil: Ich möchte Ihnen eine neue Stelle anbieten.«
Herr Pong bekam große Augen.
Die Direktorin hob den Zeigefinger. »Ich will nicht, dass Sie weiterhin hier arbeiten, wenn Sie sich dabei unwohl fühlen. Deshalb frage ich Sie: Hätten Sie Lust, sich um den weitläufigen Garten bei mir zu Hause zu kümmern? Dort gibt es keine Reptilien und der Garten braucht dringend intensive Pflege. Das gilt vor allem für meine afrikanischen Dattelpalmen.«
Herrn Pongs Mund klappte stumm auf und zu, wie bei einem Fisch.
»Nehmen Sie mein Angebot an?«
Herr Pong besann sich, trat an Frau Essig-Steinmeier heran und umarmte sie überschwänglich.
»Huch!«, entfuhr es der Direktorin, die sich ein Lachen kaum verkneifen konnte. »Heißt das, ja?«
»Ja!«, rief Herr Pong glückstrahlend. »Ja! Ja! Ja! Sie werden sehr zufrieden mit mir sein, Oberst Essig. Ich habe ein Händchen für exotische Pflanzen. Bei mir wachsen sogar Ginkobäume!«
»Das habe ich gesehen! Wirklich erstaunlich.«
Lilli und Jesahja grinsten.
Herr Pong suchte Baos Blick. »Endlich muss ich nicht mehr in den Zoo.«
Bao lachte fröhlich und umarmte seinen Vater.
»Frau von Susewind, geht es Ihnen gut?«, ertönte auf einmal eine Lilli vertraute Stimme. Im Türrahmen erschien ein orange getigerter, eleganter Katzenkopf.
»Frau von Schmidt!«
Jesahjas Katze betrat mit grazilem Schritt das Reptilienhaus, gefolgt von dem kleinen dicken Kater der Pongs. »Meine Liebe, wären Sie so freundlich, mir zu erklären, an welchem Ort wir uns befinden?«, fragte er während er näher kam. Er blickte interessiert in Richtung der Terrarien und prallte dabei frontal gegen einen Futterbehälter, der auf dem Boden stand.
»O nein, Sir Smoky!«, rief Frau von Schmidt.
»Hoppla.« Der Kater schüttelte seinen blaugrauen Kopf. »Nichts passiert, Madame.«
»Da!« Bao zeigte verblüfft auf den Perserkater. »Wie
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