Lilienrupfer
zurück.
»Blumenfeld? Das klingt ja fast meditativ. Machst du das öfter?« Christian taxierte mich noch ein bisschen intensiver als zuvor.
»Sooft es geht. Es erinnert mich an meine Kindheit. Meine Großeltern hatten außerhalb des Dorfes einen riesigen Garten. Es war immer eine kleine Wanderung dorthin.Aber das Schönste war das Wasserschloss, an dem wir unterwegs vorbeikamen. Weißt du, so eine richtige Märchenburg mit verwitterter Mauer drumherum, an der im Sommer Heckenrosen blühten. Mein Großvater musste mich jedes Mal hochheben, damit ich in den Park gucken konnte, weil ich hoffte, eine Prinzessin zu sehen. Und dann pflückte er eine von den Rosen, steckte sie mir ins Haar und nannte mich …«
»Dornröschen.«
Ich blieb ernst und sagte: »Genau. So was macht kleine Mädchen glücklich.
»Große auch.«
Ich antwortete nicht darauf, sondern fuhr fort: »Im Garten gab es dann Unmengen von Blumen: Rittersporn, Bartnelken, Gladiolen, Löwenmäulchen. Im Herbst Astern und Dahlien. Einmal in der Woche durfte ich einen Arm voll pflücken. Ich liebte das und vermisse es sehr. Deshalb also das Blumenfeld.«
»Und welche Blumen sollten es heute sein?«
»Lilien. Weiße.«
»Hm, dazu fällt mir kein Märchen ein.«
»Mir auch nicht.«
Wir schwiegen einen Moment, bis Julia ihr Glas hob und sagte: »Na dann schreiben wir doch unser eigenes. Prost!«
»Prost«, stimmte Christian zu und stieß mit Julia an. »Meine Eltern hatten auch einen großen Garten. Mit Blumen hatte ich allerdings weniger am Hut. Aber ich fand es klasse, Karotten frisch aus der Erde zu essen. Rausziehen, kurz unter den Gartenschlauch und reinbeißen. Blumen übrigens – die pflückt man bei uns nicht. Bei uns zu Hause werden …«, er machte ein verschmitztes Gesicht und verfiel in Dialekt, »Blomme geroupft.«
Ich lachte, bis ich mich verschluckte. »Wie bitte?«
»Ja«, wiederholte er todernst: »Bei uns zu Hause ›werd so ä Lilie geroupft‹.«
»Das klingt ja grauenhaft.«
»Ich weiß, aber es lässt sich nicht ändern.«
So, an dieser Stelle höre ich auf.
Es geht mir gut und ich bin gerade ungefähr in derselben Stimmung wie Eliza Dolittle, als sie ›I could have danced all night‹ gesungen hat.
Natürlich wäre es viel vernünftiger, jetzt das Flanellnachthemd überzustreifen, die Decke bis ans Kinn zu ziehen und mit stillen Gedanken das Licht zu löschen. Aber das werde ich nicht tun! Ich ziehe mein
hellblaues Seidenhemd
an und lösche das Licht, aber nur, um mich mit offenen Augen in eine lichte Zukunft zu träumen.
Eins schnell noch:
Kurz bevor ich heute Nacht begonnen habe, Dir zu schreiben, hat er angerufen. Nur um zu sagen, dass er mich schnell wiedersehen wolle. Ich antwortete »Ja, ich auch« und fühlte mich mit all dem Herzklopfen wie damals, mit zwanzig oder noch ein bisschen jünger. Blühend, unschuldig, optimistisch, heiter.
Ein schönes Gefühl. Das man sich bewahren muss.
Ich werde kitschig. Das auch noch. Guter Gott, nein. Streich den letzten Satz. Das fehlt noch, dass ich Rat gebe für die Sinnsuchenden.
Eine gute Nacht wünscht Dir froh
Undine
***
In jener Nacht hatte ich einen äußerst denkwürdigen Traum.
Ich schlief mit Axel Milberg.
Weshalb ich ausgerechnet ihn in dieser Story besetzt hatte, weiß nur mein Unterbewusstsein allein. Ich selbst kann nur mutmaßen, dass es daran lag, ihn vor Jahren in den Kammerspielen als aalglatten, eiskalten Tartuffe gesehen und als Synonym für Gefühllosigkeit und Heuchelei abgespeichert zu haben.
Verzeihung, Herr Milberg, so ist die Rolle nun mal und Sie waren sehr überzeugend darin, aber seien Sie versichert, in meinem Traum nur der Platzhalter für jemanden gewesen zu sein, vor dem ein Glöckchen meines Über-Ichs mich warnen wollte.
Rein persönlich finde ich Sie sehr sympathisch.
Aber zurück zu diesem Traum – und dem Sex.
Leidenschaftlicher, hingebungsvoller, ja, sozusagen traumhafter Sex, Herr Milberg, wenn ich das noch sagen darf.
Lebensverändernd hingebungsvoll, denn schon am Tag danach fällt mir plötzlich ein Ort ein, den ich lange vergessen und lange gemieden habe. Ein Keller, fünf Stockwerke unter der Erde. Ich steige hinab, gehe durch einen scheinbar endlosen, dunklen Gang, hinein in ein ebenso dunkles Zimmer. In einer der Ecken steht ein ungeheuerer Kühlschrank, und als ich ihn öffne, finde ich im Eisfach meine alten Visitenkarten. Hellblaues zartes Papier, Blumenranken darauf und dann mein Name in
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