Lilienrupfer
aus.«
Gut war untertrieben. Drinnen Säulen, goldenes Licht, Leder und dunkles Holz, auf der Terrasse große Sonnenschirme, verchromte Möbel, was sich aber noch nicht herumgesprochen zu haben schien. Viele Stühle waren unbesetzt und wir hatten freie Wahl, die schließlich auf einen kleinen Tisch im Halbschatten fiel. Ich stellte meine Tasche ab, rückte mit dem Stuhl herum, bis ich bequem saß, schlug die Beine übereinander, hob den Kopf und blickte ihm direkt in die Augen.
Ich wusste sofort, dass ich ihn von irgendwoher kannte, ich vergesse nur selten ein Gesicht, aber es dauerte einen Moment, bis es mir wieder einfiel. Er war der Mann aus der Krankenhaus-Cafeteria. Der mit der bandagierten Schulter, der mich angelächelte hatte, während der andere kuchengefüttert und zum Wegsehen verurteilt worden war. Diesmal lächelte er nicht, aber er sah mich unverwandt an.
In meinem Kopf lief alles in Sekundenschnelle ab. Sein Gesicht, seine Haare und seine Hände – groß und schön geformt –, es fiel mir alles auf einmal ins Auge, mein Herz sprang und ich dachte: Das ist es.
Ich schlug die Augen nieder und wandte mich dann Julia zu. Es fehlte mir plötzlich an Konzentration für jegliches Gespräch, mein Gehirn war wie leergepustet und ich musste alle Beherrschung aufbringen, um nicht gleich wieder zu ihm hinzusehen.
»Ich finde, wir sollten uns duzen«, sagte Julia in dieser Sekunde, und einen Moment war ich über ihre Gegenwart fast erstaunt
»Ja. Natürlich. Das finde ich auch. Unbedingt«, antwortete ich verwirrt, aber mit einem zustimmenden Nicken und drehte dann vorsichtig den Kopf in seine Richtung.
»Prosecco zum Anstoßen?«
»Wie?« Ich versuchte, mich zu sammeln. »Ja, sehr gern. Und schön eiskalt.« Ich winkte der Kellnerin und blickte dann wieder verstohlen zu ihm. Er hatte mich nicht aus den Augen gelassen, ich spürte es, und plötzlich lachte ich. Genau wie damals im Krankenhaus. Ich konnte mich selbst hören. Ich lachte frei und hörbar, und er lachte zurück.
Ich atmete durch.
Der Prosecco kam, Julia und ich stießen an und sagten danach »du«. Ich hatte keine Ahnung, ob sie etwas beobachtet hatte und sie ließ sich auch nichts anmerken. Sooft es ging, blickte ich zu ihm hinüber. Wir lächelten uns weiter an. Direkt in die Augen.
Irgendwann, vielleicht eine halbe Stunde später, stand er plötzlich vor uns am Tisch. Seine Kaffeetasse und ein Zigarettenpäckchen in der Hand. »American Spirits«. Die gelben. Er rauchte dieselbe Marke wie ich.
»Das kommt jetzt vielleicht ein bisschen plötzlich, aber darf ich mich dazusetzen?«
Als hätte ich nichts anderes erwartet und ohne auf Julias Zustimmung zu warten, antwortete ich »Ja, natürlich« und rückte zur Seite, damit noch ein dritter Stuhl an den Tisch passte. Julia zog souverän an ihrem Zigarillo und schien nicht im Geringsten erstaunt. Langsam vermutete ich, dass ihr nichts entgangen war. Sie verzog keine Miene. Julia wusste um die Kostbarkeit der Dinge.
Christian. Fünf Jahre älter als ich. Er hatte Sprachen studiert – Englisch und Spanisch – und arbeitete als Übersetzer für verschiedene Verlage. Hauptsächlich Prosa, wie er sagte – er nannte ein paar bekannte Romane, von denen ich manche gelesen hatte –, dazwischen aber auch das eineoder andere Sachbuch. Wir ratterten das »Was machst du?«, »Wo wohnst du?«, »Wie alt bist du?« herunter wie ein auswendig gelerntes Gedicht, aber im Grunde waren die Antworten egal. Unsere Blicke erzählten sich andere Geschichten.
»Wir sind uns schon einmal begegnet. In der Cafeteria des Bogenhauser Krankenhauses«, sagte ich irgendwann.
»Ich erinnere mich gut.« Er schmunzelte. »Himbeertorte. Mit Baiser.«
»Das weißt du noch?«
»Hm.«
Ich räusperte mich. »Weshalb warst du dort?«
»Schlüsselbeinbruch. Sturz beim Fahrradfahren. Und du?«
»Ellbogenbruch. Gehirnerschütterung. Sturz beim Fahrradfahren.« Unsere Augen lächelten sich jetzt zu, bis nur noch Strahlenkränzchen übrig blieben.
In diesem Augenblick orderte Julia eine Flasche Prosecco. »Aber den guten«, rief sie der Kellnerin hinterher.
Auf meinen erstaunten Blick hin, sagte sie nur: »Ich nehme an, das Blumenfeld können wir streichen, nicht wahr? Wir bleiben doch sicher noch länger?«
»Na ja, wenn du schon Flaschen auffahren lässt … Wir können sie ja nicht voll stehen lassen. Und Blumen gibt es morgen auch noch.« Ich konnte nicht anders. Ich lachte sie an und lehnte mich froh
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