Poesiealbum-Schrift. Nur mein Name: Undine Busch. Sonst nichts.
Gott sei Dank, ich hab sie wieder, denke ich, als ich sie einstecke und anschließend aus dem Keller schwebe.
Und oben steht er, Axel Milberg. In einem schwarzen Mantel. Und ich gehe zu ihm hin, die Visitenkarten in meinen ausgestreckten Händen, und sage: »Hier, nimm dir eine.«
Er guckt nur schnell darauf und brummt: »Sie gefallen mir nicht. Was soll ich damit?« Und dann, seine Uhr aus dem Ärmel ziehend, zitiert er aus ›Tartuffe‹: »Schon halb vier! Da muss ich leider – denn mich rufen fromme Pflichten – auf eine Weiterführung des Gesprächs verzichten.« Dann wendet er sich von mir ab, sein offener Mantel flattert im Wind, und er geht weg, bis er sich hinter einer Straßensperre noch einmal wortlos zu mir umdreht und ich ihm flüsternd antworte: »Nun müsste ich mich selber hassen, da ich Sie in mein Herz hab blicken lassen.«
Danach wachte ich auf. Mit nassen Augen und Trommelwirbel in der Brust.
Durch den Rest der Woche flog ich.
Es waren nur noch achtzehn Tage bis zur Premiere. Aus dem Summen in den Theatergängen war ein Brausen geworden, die Schauspieler waren nervös, gleichzeitig war es, als scharrten sie mit den Hufen – das Verlangen, endlich draußen im Scheinwerferlicht zu stehen, war immens. Franz hatte hier noch einen neuen Einfall, dort brauchte er ein weiteres Requisit, und ständig schrieb er neue Pointen in den Text und brachte damit alle zur Verzweiflung.
»Herrgott, Undine«, fauchte Sonja, unsere wunderschöne, goldblonde Darstellerin der Ariel, von der Bühne, nachdem sie dreimal hintereinander dieselbe Textstelle verpatzt hatte, »kannst du dir nicht endlich dieses Mutter-Gottes-Lächeln aus dem Gesicht wischen? Das treibt einen ja in den Wahnsinn.«
Statt einer Antwort schenkte ich ihr ein weiteres Lächeln und dachte nicht die Spur daran, irgendetwas an meinem Ausdruck zu ändern. Irgendwann würde dafür schon die Zeit sorgen. Sonja war es nicht gestattet, ihr den Rang abzulaufen.
Am Tag zuvor hatte ich Christian eine SMS geschickt:
Guten Morgen, Lilienrupfer! Im Moment ist es ein bisschen hektisch um mich herum, aber wie wäre es mit Freitagabend? Vielleicht gegen neun? Falls Du mich telefonisch nicht erreichst, kannst Du mir auch mailen. Undine.
[email protected] – Lieben Gruß, Undine.
Und er schrieb mir per Mail zurück:
Liebe Undine,
Freitag ist eine gute Wahl. Schließlich hat ja der Robinson an diesem Tag seinen treuen Freund gefunden … Also, Freitag ist beschlossene Sache. Julia war hoffentlich nicht total genervt von meinem Überfall. Hast aber Mitschuld, so hinreißend wie Du mich an euren Tisch gelächelt hast. Quasi Magie. Werde aber nicht beichten gehen, zumindest nicht allein. Freu mich auf das Blumenmädchen … Lieben Gruß, Christian.
Und ich antwortete:
Lieber Christian,
jetzt grübele ich die ganze Zeit, wer an diesem Tag der Robinson und wer der Freitag sein soll. Und hast Du auchschon eine Ahnung, wie die Insel heißt, auf der die beiden sich treffen? Die italienischen in München sollen ja sehr schön sein …
Nein, Julia war nicht genervt. Und was mein hinreißendes Lächeln angeht: Hatte ich denn eine Wahl?
Lieben Gruß
Undine
P.S. Gestern habe ich nach den Proben noch Lilien gerupft. Jetzt stehen sie hier und lächeln mich an.
Und er erwiderte:
Liebe Undine,
wir könnten uns an die Insel »Dolce Sosta« spülen lassen. Das mit Robinson und Freitag kungeln wir dort aus. Allerdings – und das sollten wir nicht vergessen – ging es dabei um eine Männerfreundschaft mit einseitiger Sprecherziehung …
Apropos Inseln, apropos Lilien: Vor zwei Jahren war ich auf Sardinien und habe mich in dieses Fleckchen Mittelmeer verliebt. Wild, gleißend hell, finstere Eichen, Weite, Dünen UND: Es gibt dort auch Lilien, die lächeln wollen. Ich würde gern wieder dort sein … und lächle schon jetzt …
Christian
Ich lächelte auch. Wahnsinnstreibend, wie man schon weiß. Ansonsten flog ich weiter durch die Tage und wunderte mich über dieses Gefühl, das zu groß für meinenKörper zu sein schien. Mein ganzes Leben hatte ich ohne diesen Mann verbracht, und es war gut gewesen. Ich kannte ihn nicht, hatte ihn nicht vermisst. Was also sollte diese plötzliche Sehnsucht, das schmerzliche Befürchten, er könne einfach wieder verschwinden und ich sähe ihn vielleicht niemals wieder?
Weshalb blieb ich