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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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nicht gelassen, zuckte die Achseln und sagte mir:
    Was soll’s? Ging vorher doch auch ohne.
    Nein, das Gegenteil war der Fall. Ein Mensch, der mir ewig fremd gewesen war, beherrschte plötzlich meine Gedanken, wurde Teil meiner Zukunft, weckte den Wunsch, alles, was ich liebe, mit ihm zu teilen und ihn in mein Innerstes sehen zu lassen. Und war es denn nicht lächerlich, dass ich am Strand, in der Sauna, im Schwimmbad, vor meinen Freundinnen alles tat, um gewisse Körperstellen zu verbergen, aber bei ihm davon träumte, mich nackt und bloß zu zeigen. Absurd, dachte ich, aber: O wie schön.
     
    Ich erzählte Till davon, der irgendwann in dieser bemerkenswerten Woche auftauchte und nach den Proben mit mir essen ging. Merkwürdigerweise fand er die Geschichten von Fabian und Richard zum Schreien komisch, ohne das Ganze auch nur halbwegs mitfühlend zu kommentieren – bei Christian hingegen wurde er ernst, seine Lippen schmal und die graugrünen Augen hinter der Hornbrille kühl und eng. Ich ärgerte mich. Warum freute er sich denn nicht mit mir? Als er beim Abschied sagte, ich solle besser auf mich achten, denn ich hätte ziemlich zugenommen, hätte ich ihm am liebsten »Blödmann!« hinterhergerufen.
    ***
    Datum: 19.   Mai 2007 7.53   Uhr
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: Verliebt
     
     
    Liebster Robbie,
     
    ein Morgen wie im Kinderbuch. Blitzblauer Himmel, die Vögel singen, die Luft voll von hellgrünem Frühling, und ich, entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten um diese Zeit, aber getreu meinem Namen, munter wie ein Buschwindröschen im Moos.
    Um zehn beginnen die Proben und ich wollte/musste Dir vorher noch schreiben.
    Gestern Abend also.
    Freitag.
    Um sieben ließ Franz mich nach einem langen Blick in mein Gesicht ziehen. Er sagte: »Schwirr ab, Schwälbchen. Unsere Somnambulin«, er meinte damit Eva in ihrer Rolle der schlafwandelnden Adrian, »tanzt auch ohne dich auf Spitze, und wenn du es schon geschafft hast, dass für uns rote Herzen regnen, dann sollst du auch nicht leben wie ein Hund. Also geh und triff ihn, den Neuen. Ich hoffe, er ist ein echter Gott!«
    Mein Mund formte ein kleines, erstauntes Oh, blieb aber trotzdem stumm. Franz verstand mich auch so.
    »Ich bin zwar alt, aber nicht blind«, sagte er. »Und wenn sich jemand verknallt hat, dann sehe ich das auf zwei Kilometer Entfernung. Bei dir sogar auf vier. Ich habeernsthaft eine Schutzbrille erwogen, wegen der allzu starken Strahlung. Jetzt geh, rasier dir die Achseln und Beine und bring den Typen zum Glühen.«
    Lieber Franz. Und immer so direkt.
     
    Kurz nach neun kam ich ins »Dolce Sosta«. Er war schon da, ein Glas Wein vor sich auf dem Tisch. Er bemerkte mich nicht gleich und ich nahm sein Bild in mir auf, als wollte ich mich vergewissern, dass mir noch immer gefiel, was ich sah. Es hatte sich nichts geändert.
    Nachdem er mich entdeckt hatte und mir ein Stück entgegengekommen war, schaffte ich es kaum, meine Hand nicht auf seine Brust zu legen, um zu spüren, ob sein Herz genauso heftig schlug wie meins.
    Es war ein ausgezeichnetes Restaurant, die Küche wird weithin gelobt, aber ich schluckte mein Essen hinunter wie Popcorn im Kino. Ich aß der Form halber, worauf ich kaute, interessierte mich nicht. Der Kellner goss immer wieder Wein nach und wir redeten und redeten. Wieder fiel mir die Liebenswürdigkeit in Christians Stimme auf, eine Art Eifer, dem anderen entgegenzukommen, ihn zu erfreuen. Es klang warm, fast kindlich.
    Manchmal schwiegen wir und tauschten lange Blicke. Ich sah Begeisterung darin, Sehnsucht, ein unbestimmtes Fragen, manches war nicht lesbar. Ich hielt es kaum aus. Wandte den Kopf zur Seite und rang mit dem alten Verlangen, ausgewählt, begehrt, umkämpft und besiegt zu sein.
     
    Draußen vor der Tür küsste er mich. Streckte einfach die Hand nach mir aus, zog mich an sich und küsste mich. Bis ich alles vergaß. Meine Gedanken schossen ins Weltall   ...
    ... und kamen Sternzeiten später zurück, als er michwieder mit diesem fragenden Blick taxierte und sagte: »Ich war gleich vergiftet, als ich dich zum ersten Mal gesehen hab. Ich dachte, diese Woche ginge niemals herum. Ich musste die ganze Zeit an dich denken. Sehen wir uns morgen?«
    »Wenn du dich bis nach den Proben gedulden kannst   …«
    »Nur mit Mühe.«
    Ein paar Minuten später fuhr ich nach Hause.
    Allein und glücklich.
    Nur ein nadelspitzer Gedanke, Robbie, schlich sich ein und blieb wie ein kleiner, aber zäher

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