Lilientraeume
Ich trau dir eine Menge zu, aber ich hab nicht gesehen, wie wichtig dir die Geschichte ist. Ich seh das alles und dich seit einiger Zeit mit neuen Augen, viel persönlicher, weißt du. Daran muss ich mich erst gewöhnen.«
Sie starrte immer noch die Schlüssel an.
»Du arbeitest unglaublich hart. Warum tust du dir das an?«
»Ich hab keine andere Wahl.« Sie presste kurz die Lippen aufeinander. »Darüber will ich jetzt nicht reden, über den ganzen Kram, der in unserer Familie schiefgelaufen ist.«
»Okay.« Der Blick aus ihren wunderschönen, leuchtend blauen Augen, die mit einem Mal so kummervoll wirkten, brach ihm beinahe das Herz.
»Ich werde jetzt bestimmt nicht heulen. Gott verdammt, ich ruinier mir sonst mein Make-up. Gib mir einen Moment, dann geht’s mir wieder gut.« Doch der Kampf gegen die erste Träne war bereits verloren, und sie wischte sie eilig fort. »Mir war nicht wirklich bewusst, wie sehr ich diese Sache wollte, bis du mit der Schachtel kamst. Vielleicht hab ich es auch verdrängt, um im Fall einer Ablehnung nicht völlig am Boden zerstört zu sein.«
Sie kämpfte immer noch gegen die Tränen an und atmete tief durch, um sich zur Ruhe zu zwingen. »Nicht einmal Clare und meinem Dad konnte ich gestehen, was dieser Plan mit dem zweiten Restaurant mir bedeutet. Ich hab mir eingeredet, dass es bloß eine Geschäftsidee sei. Doch das stimmt nicht: Für mich steckt viel mehr dahinter, ohne dass ich es genau formulieren könnte. Jetzt aber Schluss, sonst muss ich wirklich mein Make-up erneuern.«
Er griff nach ihrer Hand und umfasste sie. »Wie wirst du den Laden nennen?«
»MacT’s Restaurant und Pub.«
»Hat was. Gefällt mir.«
»Mir auch.« Sie strahlte mit einem Mal wieder. »O Gott, es wird fantastisch und ein richtiger Renner!« Lachend schlang sie ihm die Arme um den Hals und hüpfte aufgeregt um ihn herum, trotz ihrer gefährlich hohen dünnen Absätze. »Wart’s nur ab. Lass uns schnell unten reingehen und noch eine Flasche Sekt holen. Oder am besten zwei.« Als er sich ebenfalls erhob, warf sie sich ihm ungestüm in die Arme. »Danke.«
»Ist doch nur ein Geschäftsabschluss.«
»Trotzdem. Und das hier ist persönlich.« Schnell presste sie ihre Lippen auf seinen Mund, vergrub ihre Finger tief in seinem Haar und lehnte sich an seine Brust. »Vielen, vielen Dank.«
»Ich hoffe sehr, dass du dich bei meinen Brüdern nicht ebenfalls auf diese Weise bedankst, oder?«
»Nein.« Lachend schmiegte sie sich an ihn an. » Du warst schließlich mein allererster Freund und nicht einer von den beiden anderen.« Mit diesen Wochen machte sie sich von ihm los, drückte ihm die Reisetasche in die Hand und wandte sich zum Gehen. »Nun aber schnell. Wir kommen ohnehin schon zu spät. Was du bekanntermaßen hasst.«
»Heute mach ich mal eine Ausnahme.«
»Ach, du lieber Himmel. Beinahe hätte ich über der Aufregung die Geschenke vergessen. Schau bitte in meinem Arbeitszimmer nicht genau hin. Dort sieht es fürchterlich aus.«
»Gut, ich geb mir Mühe«, sagte er und betrat, während sie sich in Schal und Mantel warf, mit ausdrucksloser Miene den Raum voller Geschenke, Plastiktüten, Folien- und Papierschnipseln.
»Soll das etwa alles mit?«
»Das da brauch ich gleich bei Clare, das da später für Dad und den Rest morgen bei deiner Mom. Ich liebe Weihnachten.«
»Was kaum zu übersehen ist.« Er gab ihr die Reisetasche. »Geh du schon mal voraus und hol den Sekt, und ich schlepp unterdessen den ersten Teil der Geschenke zum Wagen.«
»Danke«, sagte sie und eilte davon, während er einen Karton mit den Geschenkebergen hochwuchtete. Er stöhnte und rollte mit den Augen.
»Das hab ich gehört«, rief sie lachend über ihre Schulter zurück, um endgültig die Treppe runterzulaufen.
Es wurde ein wunderschöner Weihnachtsabend. Das begann gleich in dem Moment, als sie und Owen mit ihren Geschenken, dem Sekt und einem Blech Lasagne aus ihrer Schlechte-Laune-Phase, die sie noch schnell aus der Gefriertruhe geholt hatte, durch Clares Tür traten.
Seit die Freundin als junge Witwe mit zwei kleinen Kindern und im sechsten Monat schwanger heim nach Boonsboro gekommen war, hatte Avery am Weihnachtsabend immer ein paar Stunden mit ihr und den Jungs verbracht. Dieses Jahr aber waren neben Clares Eltern auch sämtliche Montgomerys dort aufgetaucht. Und Willy B., Averys Dad. Es entspann sich eine warme Atmosphäre wie in einer großen Familie, die schon immer das Weihnachtsfest gemeinsam begangen
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