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Lilientraeume

Lilientraeume

Titel: Lilientraeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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inzwischen heißen mochte – trug enge Jeans, dazu einen schwarzen Pulli unter einer leuchtend roten Jacke. Sie war überschlank, fast hager, und ihr Gesicht mit den eingefallenen Wangen eine Spur zu stark geschminkt. Ihre kurzen blondierten Haare wuchsen am Ansatz dunkel nach. Sie müsste unbedingt neu färben, dachte Avery unwillkürlich. Es waren lauter unfreundliche, kleinliche Gedanken, die ihr durch den Kopf schossen.
    Aber hatte sie dazu nicht alles Recht der Welt?
    Erneut fragte sie: »Was willst du hier?«
    »Dich sehen. O Schätzchen, du bist wirklich hübsch geworden! Auch dein Haar sieht wunderschön aus. Ich hatte immer Angst, du würdest ewig mit dem wirren roten Wuschelkopf und dieser grauenhaften Spange durch die Gegend laufen. Wenn ich dich dagegen jetzt sehe …«
    »Nicht.« Avery wich einen Schritt zurück, als Traci die Arme nach ihr ausstreckte. »Du bildest dir hoffentlich nicht ein, es würde mich zu Tränen rühren, dass du plötzlich wieder auf der Bildfläche erschienen bist.«
    Traci blickte betreten zu Boden. »Ich weiß, dass ich das nicht verdient habe. Keine Frage. Es ist nur so …« Sie druckste ein wenig herum. »Bei deinem Anblick wird mir klar, was mir alles entgangen ist. Deine Entwicklung zu einer schönen jungen Frau, einer erfolgreichen Unternehmerin … Können wir uns vielleicht setzen? Nur für einen Augenblick?«
    »Ich bleib lieber stehen.«
    »Du bist wütend auf mich.« Traci straffte ihre Schultern und bemühte sich um eine würdevolle Haltung. »Was ich dir nicht verdenken kann. Denn mein Verhalten war dumm und egoistisch und total verkehrt. Oh, Avery, es tut mir so leid.«
    »Es tut dir also leid . « Sie schnipste mit den Fingern, und ihr Zorn gewann die Oberhand. »Und jetzt fühlst du dich besser, nachdem du mir das gesagt hast, oder was?«
    »Nein, sicher nicht. Mein Bedauern macht nichts ungeschehen. Nichts wird dadurch wieder gut. Es gibt Dinge, für die es keine Wiedergutmachung gibt. Und das, was ich getan habe, gehört vermutlich dazu. Es war ein schrecklicher Fehler, damals so mir nichts, dir nichts wegzugehen. Ich hab ihn schon oft bereut … Auch wenn du mir nicht verzeihen kannst – ich wollte dich ganz einfach wiedersehen«, stieß Traci mit rauer Stimme hervor und blickte Avery aus tränenfeuchten Augen an. »Ich dachte, jetzt, wo du erwachsen bist, könntest du mich vielleicht ein bisschen verstehen.«
    »Was sollte ich denn verstehen?«
    »Warum ich gegangen bin.« Sie nestelte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch, ließ sich auf einen Stuhl sinken und wischte sich die Augen. »Weil ich unglücklich war und es irgendwann nicht mehr ertragen habe. Niemand will wissen, wie es damals für mich war. Dabei weiß man schließlich nie, was in der Ehe anderer Menschen abläuft.«
    »Oh, als eure Tochter hab ich genug von eurer Ehe mitgekriegt, um mir ein Bild machen zu können. Und du hast nicht nur deinen Ehemann verlassen, sondern auch dein eigenes Kind.«
    »Ich weiß. Ich weiß . Aber ich konnte einfach nicht bleiben. Und da du schon immer mehr an deinem Vater gehangen hast als an mir …«
    »Wag es ja nicht, etwas gegen ihn zu sagen.«
    »Keine Sorge, das würde ich nie tun.« Traci zog ein neues Taschentuch hervor. »Er ist ein guter Mensch. Vielleicht war er zu gut für mich. Ich hätte ihn niemals heiraten sollen – das war eindeutig ein Fehler.«
    »Für mich sieht es so aus, als würdest du nur Fehler machen.«
    »Ich war damals noch sehr jung, gerade mal neunzehn. Und ich dachte, dass ich Willy liebte. Ehrlich. Und dann wurde ich schwanger und sah keine andere Möglichkeit, als ihn auch zu heiraten. Denn meine Eltern waren außer sich, als sie davon erfuhren. Ich hatte damals eine Heidenangst.«
    Avery glaubte ihr nicht. Ihr Großvater war ein geduldiger und warmherziger Mann gewesen, der bis an sein Lebensende seiner Tochter nachgetrauert hatte, die von einem auf den anderen Tag aus ihrer aller Leben verschwunden war. Und ihre Großmutter, die noch lebte, kannte sie als starke, herzensgute Frau, die ihrer Familie immer Halt gab, egal was geschehen mochte.
    »Willst du behaupten, sie hätten dich rausgeworfen? Oder dir damit gedroht?«
    »Sie …«
    »Vorsicht«, warnte Avery.
    »Nein, das nicht. Aber sie haben mich mit Vorwürfen überhäuft, wie gedankenlos ich gewesen sei und dass ich nicht wisse, was es bedeutet, für ein Baby zu sorgen …«
    »Findest du das so absonderlich, wenn sie dich auf deine Verantwortung hinweisen?«
    »Sie

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