Lilientraeume
gehandelt, das bestreite ich gar nicht. Aber was du mir da vorwirfst, stimmt nicht. Ich musste sehr oft an dich denken und war sehr stolz, als ich von deinem eigenen Restaurant erfuhr. Wirklich furchtbar stolz. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr.«
Bei Avery begannen leise die Alarmglocken zu läuten, doch sie hoffte, dass sie sich täuschte. »Und wie hast du davon erfahren?«
»Durchs Internet. Schließlich wollte ich wissen, was du so machst. Ich weiß nicht, wie oft ich eine E-Mail an dich angefangen habe, aber ich traute mich nicht, sie abzuschicken. Ich weiß auch, dass Tommy Montgomery gestorben ist. War bestimmt ein schwerer Schlag für deinen Dad. Und für Justine. Wenngleich sie mich nie wirklich mochte, war sie immer nett zu mir. Das muss ich ihr lassen.«
»Sofern ich dich richtig verstehe, bestand dein ganzes mütterliches Interesse darin, dass du von Zeit zu Zeit meinen Namen gegoogelt hast«, sagte Avery sarkastisch.
»Okay, ich darf wohl kaum Verzeihung von dir erwarten. Allerdings hatte ich gehofft, dass du mich ein klein wenig verstehst.«
»Weshalb interessiert dich das mit einem Mal so brennend?«
»Ich dachte, vielleicht würdest du mir eine zweite Chance geben, damit wir uns wirklich kennenlernen können und …«
»Was ist aus diesem Steve geworden? Der großen Liebe deines Lebens.«
Traci verzog unglücklich das Gesicht, brach erneut in Schluchzen aus. »Er … ist gestorben. Im November. Einfach so. All die Jahre waren wir zusammen, haben oft unseren Wohnsitz gewechselt wegen seiner Arbeit. Natürlich hatte er seine Fehler, doch ich hab ihn wirklich geliebt und war glücklich mit ihm. Und jetzt ist er nicht mehr da, und ich bin völlig alleine auf der Welt.«
»Das tut mir leid für dich, aber ich kann und werde diese Lücke ganz bestimmt nicht füllen. Du hast damals deine Entscheidungen getroffen und musst jetzt mit den Konsequenzen leben.«
»Ich schaff es nicht, alleine zu sein. Könnte ich vielleicht vorübergehend bei dir bleiben? Ein, zwei Wochen?«
»Hier?« Avery war sichtlich schockiert. »Auf keinen Fall. Du hast dich siebzehn Jahre nicht gemeldet und schneist plötzlich bei mir herein, als sei nichts geschehen – und erwartest allen Ernstes, dass ich dich mit offenen Armen empfange? Du musst selbst sehen, wie du dein Leben auf die Reihe kriegst. Für mich bist du nämlich bereits vor einer Ewigkeit gestorben.«
»So kaltherzig kannst du nicht sein.«
»O doch«, erklärte Avery. »Vermutlich hab ich das von dir geerbt.«
»Nur ein, zwei Wochen, bitte. Ich weiß sonst nicht, wohin und was ich machen soll.«
»Hier bist du am falschen Ort.«
»Ich bin immerhin deine Mutter, Avery.«
»Du bist die Frau, die mich verlassen und sich siebzehn Jahre nicht bei mir gemeldet hat. Und jetzt willst du, dass ich mich um dich kümmere. Du kommst nur, weil du dich einsam fühlst, und nicht, um mich zu sehen, mich kennenzulernen und dich mit mir zu versöhnen oder sonst was.« Sie machte eine Pause, bevor sie wieder loslegte. »Tatsache ist, dass du unverändert an niemand anderen denkst als an dich. Ich hab mir angehört, was du zu sagen hattest, und jetzt reicht es. Bitt geh!«
»Aber ich weiß nicht, wohin.«
»Die Welt ist groß. Such dir was aus.«
»Bitte, wenigstens bis morgen. Diese eine Nacht.«
»Du bist pleite«, stellte Avery fest.
»Wir hatten finanzielle Einbußen, steckten in Schwierigkeiten … Ja, ich könnte ein bisschen Hilfe gut brauchen.«
Alles drehte sich um diesen einen hässlichen, banalen Punkt, dachte Avery. »Mein Gott, was bist du für ein Mensch? Du brauchst Geld? Im Ernst? Du willst allen Ernstes Geld von mir?«
»Ich zahl es dir auch zurück. Wenn du mir ein paar tausend Dollar leihen könntest, bis der schlimmste Engpass überwunden ist …«
»Selbst wenn ich so viel übrig hätte, würde ich sie dir bestimmt nicht geben.«
»Immerhin besitzt du ein eigenes Restaurant. Und leistest dir teure Kleider.« Traci zeigte auf die Einkaufstüten. »Da lässt sich doch bestimmt ein bisschen für mich abzweigen. Ich will es ja nicht geschenkt. Zwing mich bitte nicht zu betteln, Avery, denn ich würde sogar vor dir auf den Knien rutschen. Ich steck nämlich in echten Schwierigkeiten.«
Avery riss den Geldbeutel aus ihrer Handtasche, zog, ohne nachzuzählen, alle Scheine aus dem Fach und warf sie ihrer Mutter hin. »Hier. Das ist alles. Mehr kriegst du nicht. Weder jetzt noch später. Und nun verschwinde und halt dich raus aus meinem
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