Lilith Parker
der Dämonen⹠an.« Lilith rollte mit den Augen. »Und am Ende heult er jedes Mal wie ein Baby, weil die Dämonen verloren haben.«
»Und wie war der Runenunterricht?«, fragte Mildred betont beiläufig.
Lilith stocherte in ihrem Kartoffelbrei herum. »Du hast oben Sir Elliot getroffen, nicht wahr?«, tippte sie.
»Er macht sich Sorgen. Er vermutet, dass du wieder einen Banshee-Albtraum hattest.«
Die Albträume hatten schon vor Liliths Wandlung eingesetzt und nun wurden sie immer schlimmer. Die Nächte konnte sie nur mithilfe eines Schlaftrunks von Emmas Mutter überstehen, der sie in einen traumlosen Tiefschlaf versetzte. Ohne ihn erlebte sie immer wieder die letzten Momente anderer Personen kurz vor ihrem Tod so real, als wäre sie selbst es, die dabei stirbt. Lilith verbrannte, ertrank, fiel von einer Klippe, wurde hinterrücks niedergeschlagen â die Liste war ebenso grauenvoll wie endlos. Dabei schienen die Visionen keinem Muster zu folgen, Lilith wandelte in ihren Visionen durch die Zeit, quer durch die Jahrhunderte, mal trug sie mittelalterliche Kleidung, mal ritt sie im Damensattel auf einem Pferd, ein anderes Mal hatte sie Frack und Zylinder an. Die Todesszenen hatten nur eines gemein: Die Sterbenden hatten in Bonesdale gelebt.Mildred und die anderen meinten, sie müsse lernen, die Todesbilder abzublocken, die eine Banshee wie ein Magnet anziehe, doch wie diese Abwehr konkret funktionierte, konnten sie ihr auch nicht sagen. Banshees waren selten und über ihre Fähigkeiten war kaum etwas bekannt, da Todesfeen nur gegenüber ihresgleichen über ihre Gabe sprechen durften. Lilith seufzte gequält auf. Wieder einmal stellte sie die Geheimnistuerei, die in der Welt der Untoten anscheinend zum guten Ton gehörte, vor ein fast unlösbares Problem. Es wäre wenigstens ein Anfang gewesen, wenn Lilith sich mit einer anderen Banshee hätte austauschen können, doch weit und breit war sie die einzige Todesfee.
»Lilith, du musst lernen, dich zu schützen!«
»Aber heute Mittag hatte ich gar keine Todesvision«, versuchte sie ihre Tante zu beruhigen. »Zuerst sah ich nur einen süÃen kleinen Jungen im Wald, doch plötzlich stand ich einer fremden Stadt zwischen Menschen, von denen jeder einzelne das Todesmal trug. Alle haben mich bedrängt, dass ich sie vor dem Tod beschützen soll, dabei zerfielen sie vor meinen Augen schon zu Staub â¦Â« Ihre Stimme erstarb.
Mildred griff nach ihrer Hand und drückte sie. »Dich quält die Frage, ob du sie retten könntest, weil du das Todesmal siehst«, stellte sie fest. »Das ist ganz normal bei dieser auÃergewöhnlichen Gabe. Deiner Mutter ging es am Anfang ihrer Wandlung genauso, und das, obwohl sie von ihrer Familie schon seit ihrer Geburt darauf vorbereitet wurde. Für dich ist das natürlich sehr viel schwerer zu bewältigen.«
Mildred schob ihren Teller von sich und sah Lilith mit sosorgenvoller Miene an, dass sie augenblicklich ein schlechtes Gewissen bekam. Ihre Tante hatte momentan schon genug Probleme, da wollte Lilith sie nicht auch noch zusätzlich belasten.
»Eigentlich war der Traum gar nicht so schlimm«, wiegelte sie ab. »Ich komme mit meiner Gabe sogar immer besser klar. Wenn ich im Dorf einen Touristen mit dem Todesmal sehe, macht mir das kaum noch etwas aus. Ihr habt mir jetzt oft genug gesagt, dass der Tod zum natürlichen Kreislauf unseres Daseins gehört.« Sie lächelte, wobei sich die Muskeln in ihrem Gesicht seltsam verkrampft anfühlten.
»Wenn du meinst«, entgegnete Mildred skeptisch und Lilith musste sich alle Mühe geben, ihrem prüfenden Blick standzuhalten. »Natürlich würde ich mich freuen, wenn du dich so schnell mit den Schattenseiten deiner Gabe abgefunden hast.«
Mildred erhob sich und begann, den Tisch abzuräumen. »Nichtsdestotrotz muss ich dich darum bitten, Sir Elliots Unterricht in Zukunft ernster zu nehmen. Nur weil dich das Bernstein-Amulett auserwählt hat, bedeutet das nicht, dass du dich faul zurücklegen kannst. Bis du offiziell die Führerin der Nocturi werden kannst, musst du noch viel lernen.«
Lilith nickte, erleichtert, dass die Standpauke dieses Mal so milde ausfiel. Führerin der Nocturi ⦠Sie fragte sich, ob sie sich jemals an diese Bezeichnung gewöhnen würde. Hätte sie das Amulett auch angelegt, wenn sie gewusst hätte,
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