Lilith Parker
dass sie sich damit als neue Herrscherin des Nachtvolkes bewarb? Wahrscheinlich nicht. Aber immerhin blieb ihrnoch Zeit, sich an ihre neue Rolle zu gewöhnen. Zachary Scrope, offiziell Bonesdales Bürgermeister, hatte sich in den letzten Jahren um alle Belange der Nocturi gekümmert und so sollte es auch fürs Erste bleiben.
»Lilith?« Mildreds Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Möchtest du mir mit dem Tagesabwasch helfen?«
Lilith sah zu der mit Tassen und Tellern beladenen Spüle.
»Wenn du mich schon fragst«, setzte sie lahm an, »eigentlich nicht. Immerhin habe ich schon den Tisch gedeckt und als Teenager muss ich darauf achten, dass mein Ruf nicht zu gut wird.«
Mildred betrachtete den Geschirrberg. »WeiÃt du was? Ich habe eigentlich auch keine Lust.«
Sie zog einige Briefe aus ihrer Manteltasche, die sie im Postamt abgeholt hatte. Die Umschläge wellten sich von der Feuchte, die durch die Manteltasche gedrungen war, und Lilith beobachtete gespannt, wie ihre Tante die Briefe für jeden der Heimbewohner auf verschiedene Stapel sortierte. Ob ihr Vater ihr endlich geschrieben hatte? Seit Wochen hatte sie nichts von ihm gehört, sie wusste nicht einmal, ob er gerade als Archäologe auf irgendeiner Ausgrabungsstelle arbeitete. Doch je weniger Briefe es in Mildreds Hand wurden, umso mehr schwand auch ihre Hoffnung.
Wahrscheinlich hat er nur keine Zeit, um mir zu schreiben, versuchte sie sich zu beruhigen. Trotzdem versetzte die Enttäuschung ihrem Herzen einen schmerzhaften Stich. Gerade als sie aufstehen wollte, um Strychnin Gesellschaft zu leisten, zog Mildred scharf die Luft ein und starrte mit bleichem Gesicht auf ein nachtschwarzes Kuvert.
Lilith sank auf ihren Stuhl zurück. »Ist irgendetwas mit diesem Brief ?«
Mildred versuchte so hektisch, das Kuvert zu öffnen, dass Lilith im ersten Moment dachte, sie wolle es zerreiÃen. Sie zog ein ebenfalls nachtschwarzes schweres Büttenpapier hervor, in dessen oberer Ecke ein prunkvolles perlmuttfarbenes Siegel eingeprägt war, das auf dem dunklen Grund wie ein Mond in dunkler Nacht erstrahlte. Es zeigte einen Kreis, in dem sich vier einzelne Zepter zu einem Kreuz vereinigten â es war das Zeichen des Rats der Vier.
Mildreds Augen flogen wie im Fieber über die Zeilen, wobei sich tiefe Falten auf ihrer Stirn bildeten. Lilith konnte ihre Neugier nicht länger unterdrücken und beugte sich vor, um einen Blick auf den Inhalt erheischen zu können.
Runenschrift, verflixt! Nur mit Mühe konnte sie den Fluch, der ihr auf der Zunge lag, zurückhalten.
»Jemand hat es ihnen erzählt«, flüsterte Mildred kaum hörbar, während sie langsam den Brief sinken lieÃ.
»Was denn? Jetzt sag doch endlich etwas!«
Zerstreut sah Mildred auf, als habe sie völlig vergessen, dass sie nicht allein in der Küche war. »Es ist eine Vorladung. Der Rat der Vier wird über dich Gericht halten, weil du das Gesetz gebrochen hast.« Ihre Tante sah sie mit schreckgeweiteten Augen an. »Sie wollen dich verbannen.«
»Def. Banshee, allgemein: früher âºbean nigheâ¹, im Volksmund häufig âºFrau aus dem Feenreichâ¹ oder âºTodesfeeâ¹ genannt; dem Volk der Nocturi angehörig. Sie wird beschrieben als eine Frau mit bleicher Haut und schwarzen Haaren, die das Nahen des Todes erspürt, weshalb man ihr Weinen und Klagen oft in der Nähe von Sterbenden hört. Ihr ist es jedoch nicht erlaubt, in den Kreislauf von Leben und Tod einzugreifen, auch ist es ihr nicht möglich, den Tod ihrer Eltern und Kinder vorherzusehen. Man schreibt den Banshees eine besondere Verbindung zu den Tieren der Nacht zu; sie sind auch in der Lage, Todesvisionen zu empfangen. Ihre stärkste Waffe ist der sogenannte Todeskuss: Eine Banshee kann die Trauer, die sie durch ihre Gabe erfahren musste, an eine andere Person weiterleiten, indem sie ihn auf die Stirn küsst und gleichzeitig sein Herz berührt â diese Fülle an Todesangst und Schmerz führt bei demjenigen unweigerlich zum Herzstillstand. In seltenen Fällen können Mütter die Gabe auch an ihre Söhne vererben, sie werden Bansidhe genannt. Bei männlichen Nachkommen steht die visionäre Gabe im Vordergrund; sie sind weniger empathisch und in ihrem Wesen sehr dominant.«
aus »Untote von AâZ.
Umfassendes Nachschlagewerk paranormaler Wesen«
von Professor Albertus von
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