Lilith Parker
jemand mit Verstand dabei.«
»Also darf ich doch mit, Eure Ladyschaft?«, fragte Strychnin frech.
»Nein«, kamen Emma und Matt Lilith zuvor.
Emma warf einen glückseligen Blick in die Runde. »Ich bin richtig froh, dass ihr beide nach Bonesdale gekommen seid. Was habe ich all die Jahre nur ohne euch gemacht?«
»Jetzt übertreib mal nicht«, wiegelte Lilith ab.
Matt setzte ein schiefes Lächeln auf. »Sie meint wahrscheinlich, dass sie auf zwei so leichtgläubige Idioten aus der Menschenwelt sehnlichst gewartet hat.«
»Genau«, stimmte Lilith ihm zu. »Die doof genug sind, ohne groà zu überlegen, einem fliegenden Selbstmordkommando zuzustimmen, nur um ein paar Büschel Gras zu ernten.«
Emma zuckte lachend mit den Schultern. »Sag ich doch: Wir sind ein Spitzenteam!«
Dicke Schneeflocken tanzten zwischen den Bäumen in der Luft. Sie schwangen sich auf und ab wie spielende Kinder, die dagegen rebellierten, sich auf dem Boden in den Schlaf zu betten. Lilith zog fröstelnd ihren Mantel um sich und trat aus den Baumreihen hinaus auf eine Lichtung. Wo war sie hier nur? Der Teil des Waldes war ihr völlig unbekannt.
Ein Geräusch lieà sie herumfahren. Nicht weit von ihr entdecktesie einen kleinen Jungen, der an eine Eiche gelehnt im Schnee saà und weinte. Er war vielleicht fünf oder sechs Jahre alt und in seinen dunkelbraunen Locken glitzerten die Schneeflocken wie kleine Sterne. In seiner rechten Hand, die schon rot vor Kälte war, hielt er einen Strauà aus Totenkopfprimeln. Lilith runzelte die Stirn. Was machte ein so kleiner Junge nur hier drauÃen allein im Wald? Obwohl sie um einiges älter war als er, wurde Mildred nie müde, sie daran zu erinnern, welche Gefahren hier lauerten. Wo waren nur die Eltern des Kleinen? Als sie auf ihn zuging, lieà ihn das Knirschen des Schnees erschrocken aufsehen. Seine Augen, die von langen Wimpern umrandet waren, hatten die Farbe von dunkler Schokolade.
»Du musst keine Angst haben. Ich will dir nur helfen«, versuchte sie ihn zu beruhigen. »Ich heiÃe Lilith. Und du?«
Er blinzelte sie unsicher an. »Vincent.«
Lilith ging neben ihm in die Knie. »Hast du dich verlaufen, Vincent? Du siehst ganz schön durchgefroren aus.«
Er nickte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
»Ich suche meine Mama. Hast du sie gesehen?«
Lilith schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid.«
»Die habe ich für sie gepflückt.« Er hielt Lilith die Totenkopfprimeln unter die Nase. »Die wachsen nämlich im Winter unter dem Schnee, aber nur hier in Bonesdale.«
»Darüber wird sich deine Mutter bestimmt freuen. Sollen wir sie zusammen suchen gehen?«
Er nickte und sein Gesicht hellte sich plötzlich auf. »Spielen wir dabei Fangen? Dann wird uns wieder warm.« Er stupste sie mit dem Zeigefinger an und grinste, wobei er eine Zahnlücke entblöÃte. »Du bist dran!«
Schon sprang er auf die Beine und rannte über die Lichtung.
»Hey, Moment«, beschwerte sich Lilith. »Das ist aber nicht fair.«
Plötzlich bildete sich über seinem Kopf ein schwarzer Strudel, der immer dunkler und dichter wurde. Das Todesmal! Lilith keuchte schmerzerfüllt auf. Jedes Mal wenn sie es sah, war es wie ein Schlag in die Magengrube.
»Vincent, warte!«, schrie sie. »Bleib bei mir!«
Doch er war schon zwischen den Baumreihen verschwunden und schien sie nicht mehr zu hören. Hastig wollte sie ihm folgen, aber der tiefe Schnee lieà sie nur langsam vorankommen. Wie hatte der kleine Vincent die Lichtung nur so schnell überqueren können? Endlich erreichte sie die Bäume, wo sie ihn zuletzt gesehen hatte.
»Vincâ¦Â« Sie stockte überrascht.
Von einer Sekunde auf die andere hatte sich ihre Umgebung verändert. Plötzlich befand sie sich auf einem breiten Bürgersteig in einer ihr unbekannten Stadt und unzählige Passanten, die mit Einkaufstaschen behängt waren oder entnervt in ihre Handys brüllten, drängten sich an ihr vorbei. Nach der sanften Stille des Waldes war der Lärm der hupenden Autos, das Klappern der Schritte, das Gemurmel, Rufen und Fluchen fast unerträglich.
»Lilith! Da bist du ja endlich.« Vincent stand einige Schritte von ihr entfernt und winkte ihr zu. »Du bist viel zu langsam. So kriegst du mich nie!«, rief er ihr lachend zu und verschwand in der
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