Liliths Kinder
verschwunden.
Bonampak lauschte in sich, versuchte zu ergründen, welcher Art die Gefühle waren, die ihn bewegten. Er erwartete Befriedigung zu finden, als Ausdruck der Genugtuung, die er empfinden mußte. Und er hoffte, daß sie groß genug war, um seine Trauer und den Schmerz über den Verlust seiner Familie vergessen zu machen. Für den Moment wenigstens .
Zu seinem Erstaunen jedoch war die Befriedigung nicht so tief, wie er angenommen hatte. Denn daneben hielt sich hartnäckig etwas anderes, das verhinderte, daß er sich an Liliths Verbrennung ergötzen konnte. Bedauern .?
Als hätte es nur dieser Erkenntnis bedurft, stiegen Bilder vor Bon-ampaks geistigem Auge auf. Bilder, die erst ein paar Tage alt waren. Und die sich ihm unauslöschlich ins Gedächtnis geprägt hatten.
Lilith, wie sie Selva bei der Geburt ihres Kindes geholfen hatte. Li-lith, wie sie gegen Atitla gekämpft hatte, um das Neugeborene zu beschützen .
Konnte es denn wirklich sein, daß diese Lilith imstande war, solches Grauen anzurichten, wie Bonampak es mit eigenen Augen mitansehen hatte?
Mit eigenen Augen ...
Das war der Punkt.
Er hatte es doch selbst gesehen! Er war Zeuge der Greueltaten gewesen! Und Lilith hatte sie verübt!
Bonampak stöhnte auf, schloß die Augen, als könne er damit die Bilder dieser Nacht vergessen. Aber sie erschienen ihm wieder und wieder, und immer war es Lilith, die darin wütete und mordete.
Oder -?
Bonampak erstarrte. Versuchte kraft seines Geistes die furchtbaren Bilder festzuhalten, um sie - widerwillig und am ganzen Leib vor Schmerz zitternd - genauer zu betrachten.
Hätte der Maya gewußt, was unter einer Doppelbelichtung zu ver-stehen war, hätte er diesen Begriff als Vergleich herangezogen. Denn tatsächlich sah es aus, als überlagerten sich in seiner Erinnerung zwei Bilder. Und je länger er »hinsah«, desto deutlicher trat eines von beiden in den Vordergrund.
Jenes, auf dem nicht Lilith zu sehen war, sondern - Ein gellender Ruf riß Bonampak aus seiner Versunkenheit. Erschrocken sah er auf - und erkannte im selben Augenblick, daß die Warnung kein falscher Alarm war!
Die Warnung, die nun dutzendfach wiederholt wurde, die vielstimmig und doch wie aus einem Munde klang.
»Die Tyrannen kommen!«
*
Die Tyrannen kamen nicht.
Ein einzelner war es, der mit rauschenden Schwingen aus der Nacht niederstieß und tiefe Kreise über den Köpfen der Menschen zog. So rasch und verwirrend jedoch, daß man meinen konnte, er wäre nicht allein.
Die Menge stob auseinander, schreiend und rennend. Nur wenige hielt es in der Nähe, und aus ihren Verstecken heraus beobachteten sie bange, was weiter geschah.
Chiquel landete, transformierte in menschliche Gestalt, sah sich um.
Er war zu spät gekommen, um verhindern zu können, daß die Menschen den Scheiterhaufen entzündeten.
Zu spät, um Lilith noch zu retten. Ihre Gestalt war hinter den Flammen kaum noch zu erkennen. Nurmehr als dunkle Kontur, ganz und gar schwarz - verbrannt .
»Warum habt ihr das getan?« schrie Chiquel ins Dunkel jenseits des Feuerscheins. Er konnte fast spüren, wie die Menschen dort unter seiner Stimme erschauerten.
Schritte klangen auf. Ein einzelner Mann trat zu ihm.
Copan lächelte und wies zum Feuer hin.
»Alles zu Eurer Zufriedenheit, Herr?« fragte er unterwürfig.
Chiquel sah ihn verwirrt an. »Zufriedenheit? Wovon redest du, Alter?«
Copan wirkte irritiert.
»Aber - Euer Plan«, sein Blick ging zu dem Scheiterhaufen hin, dann sah er wieder den Vampir an, »- es ist doch alles so, wie Ihr es Euch gewünscht habt .«
Chiquels knotige Faust schoß vor, bekam Copan am Kragen seines Gewandes zu packen und zog ihn heran. Sein Blick bohrte sich in den des alten Mannes - und Chiquel erkannte, was es mit all dem auf sich hatte!
»Verfluchte Kreatur!« spie er angeekelt und entsetzt in einem hervor.
»Ich verstehe nicht .« Copan schlotterte mit einemmal am ganzen Leibe. Chiquel stieß ihn von sich, so heftig, daß der Alte erst am Fuße des Scheiterhaufens zu liegen kam.
»Lösch das Feuer«, befahl der Vampir.
»Was?« entfuhr es der Dienerkreatur erschrocken. »Das - das kann ich nicht!«
»Tu, was ich dir sage! Sonst -!«
Den Rest ließ Chiquel unausgesprochen, doch seine Geste war unmißverständlich.
Wimmernd und unverständlich stammelnd kroch Copan noch näher zu dem Feuer hin. Zaghaft griff er nach einem brennenden Ast, um ihn aus dem Flammenberg zu zerren.
»Schneller!« fuhr Chiquel ihn an. Und dorthin, wo
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