Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Grillen zirpen, Müllmänner pfeifen oder Wolken regnen läßt.
»Hier ist Zoe Antigonis«, meldete sich die Frau, die im Norden von Athen die Regentschaft über einen »weißen Flecken« innehatte. Und die im Grunde eine Gegenkönigin darstellte. Eine Anti-Esha-Ness. Sie sagte: »Ich habe einen Millionär für Sie gefunden, Frau Steinbeck. Er ist ideal. Er sammelt Violinen.«
»Warum soll das ideal sein?«
»Er spielt seine Violinen nicht, er sammelt sie nur und ist dabei vollkommen ausgeglichen. Er sieht sogar ganz gut aus.«
»Woher stammt sein Reichtum?«
»Sein Bruder ist Industrieller und hat ihn ausgezahlt. Mit dem Geld kann er Geigen kaufen, bis er darin erstickt. Nichts gegen Musikinstrumente, aber man sollte ihm zeigen, daß es auch noch etwas anderes auf der Welt gibt. Ich denke, Sie sind genau die Richtige dafür. Ich werde ein Treffen arrangieren. Aber vorher … also, wir wissen jetzt, wo sich Nummer neun aufhält.«
»Mist!«
»Wir haben eine Vereinbarung.«
»Natürlich«, sagte Lilli.
Zoe Antigonis berichtete, daß der Mann, um den es gehe, ein aus Regensburg stammender Jurist, im Dschugdschurgebirge aufgetaucht sei. Das läge in Russisch-Fernost.
»Russisch-Fernost«, wiederholte Lilli nachdenklich. »Hört sich an wie die Steigerung von etwas Unangenehmem: eingeschweißte-Wurst-abgelaufen.«
»Man kann sich das eben nicht aussuchen, wohin eine Kugel springt«, erinnerte Zoe Antigonis. »Ein Chauffeur wird gleich vorbeikommen und Sie zum Flughafen bringen. Sie fliegen zuerst nach Moskau. Von dort geht es weiter nach Ochotsk. Wo ein Führer auf Sie wartet. Ein ortskundiger Mensch, kein Soldat, wie ich betone. Auf ein großes Team verzichten wir diesmal. Auch auf eines im Hintergrund. Keine Hubschrauber, keine Fallschirmspringer, keine Elefanten in Porzellanläden. Nichts, was auffällt.«
»Und Kallimachos?« erkundigte sich Lilli.
»Sie treffen ihn am Flughafen. Es ist alles vorbereitet. Der Fahrer wird Ihnen einige Unterlagen übergeben, damit Sie sich auskennen. Damit Sie wissen, wer das ist, den Sie da finden und retten sollen.«
»Hoffentlich will er sich überhaupt retten lassen.«
»Er wird schnell begreifen, wer die Guten sind. Ich bin überzeugt, Frau Steinbeck, daß Sie so etwas vermitteln können, den Charakter des Guten, die Schönheit des Guten.«
»Es gibt Männer, die sich vor Frauen fürchten, gleich wie lieb sie zu ihnen sind«, erwiderte Lilli.
»Na, lieb müssen Sie ja nicht sein«, fand Zoe Antigonis und gab Lilli den Rat, warme Sachen einzupacken. Angesichts des ostsibirischen Berglandes. Dann sagte sie: »Mein Mann läßt Sie grüßen.« Und legte auf.
»Es geht los«, sagte Lilli zu den beiden Frauen. »Ich ziehe mich rasch um.«
»Was ist das für ein komischer Job, den du da machst?« fragte ihre Tochter.
»Jeder Job ist komisch, wenn du genau hinschaust.«
»Das ist keine Antwort, Mama.«
»Ich weiß«, sagte Lilli Steinbeck und wechselte das Zimmer, um sich mit einem kastanienbraunen, stark taillierten, aus festem, filzartigem Stoff geschneiderten Hosenanzug zu bekleiden. Dazu glänzend schwarze, bis unter die Knie führende, spitze Stiefeletten. Sie probierte eine fein gewebte, dunkelrote Strickhaube und stellte sich vor den Spiegel. Lilli fand, daß sie nicht nur ausgesprochen russisch aussah, sondern auch etwas von einer politischen Kommissarin an sich hatte. Einer schlanken Kommissarin, streng und schön und unbarmherzig. Unbarmherzig gerecht.
Sie schob die Haube in ihre Tasche, die gleiche, in der noch immer die Verlaine und jene Puderdose von einem Handy steckten. Lilli ging davon aus, daß alles so arrangiert war, daß sie ihre Waffe ohne Schwierigkeiten mit an Bord nehmen konnte. Bei einer russischen Maschine konnte das wirklich kein Problem sein. Die Russen hatten sich – praktisch mit dem Verlust ihrer Weltmacht – über alles und jeden erhoben. Egal, wo auf der Welt sie agierten, sie agierten immer frei von jedem Gesetz. Wobei es weniger so war, daß alle Russen bestechlich waren. Eher war die Welt bestechlich, und die Russen nutzten diesen Umstand in vollendeter Weise. Sie hatten den Kommunismus ruiniert, sie würden mit dem Kapitalismus das gleiche tun. Das war ihre Mission.
Übrigens hatte man Lilli Steinbeck angedroht, sie aus dem deutschen Polizeidienst zu entlassen, wenn sie nicht sofort zurückkam, um wieder ihren Job anzutreten. Obgleich sogar Hübner sich für sie eingesetzt hatte. Aber der zuständige Minister persönlich
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