Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
»Ein Glücksbringer.«
»Hatte das nicht dieser Vartalo …?«
»Sie täuschen sich. Außerdem wäre es dann kaum ein Glücksbringer, oder?«
»Na egal«, meinte Lilli, die sich nicht um alles kümmern konnte. Sie griff nach ihrer Kaffeetasse, zuckte aber zurück. Der Kaffee war einfach viel zu gut. Wenn etwas zu gut war, sollte man lieber darauf verzichten. Das war eine Lehre, die die Menschheit noch nicht gezogen hatte. Lilli aber schon. Sie lehnte sich wieder nach hinten, streifte ihr Kleid zurecht und legte ihre feingliedrigen, übereinandergeschichteten Hände auf dem oberen Knie ab. Es sah aus, als packe sie Teile ihres Körpers in eine unsichtbare Tasche.
»Schön, daß das also geklärt wäre«, sagte Zoe Antigonis. »Ich denke, diesmal könnten wir es schaffen. Es ist höchste Zeit, daß Esha Ness, dieses verrückte Weib, abdankt.«
»Warum so optimistisch?« fragte Lilli.
Anstatt einer Antwort meinte Zoe Antigonis: »Sie haben recht. Es ist eine gute Idee, sich einen Mann zu nehmen, der wenigstens reich ist.«
Nach dem Kaffee kamen noch andere Gäste, darunter auch ein Hollywoodschauspieler, von dem Lilli gedacht hatte, er sei längst tot. Es war eine gutgelaunte, kleine Gesellschaft. Es wurde fast nur über Blumen gesprochen. Genauer gesagt über Zwiebeln.
»Ich bin müde«, entschuldigte sich Lilli nach dem Essen.
»Ich rufe Sie an«, sagte Zoe. »Sobald wir ungefähr wissen, wo sich Nummer neun aufhält. Und natürlich auch, sobald ich einen Millionär für Sie habe. Bei einer Frau wie Ihnen dürfte das kein Problem sein.«
»Vergessen Sie aber nicht«, erinnerte Lilli, »daß ich keinesfalls bereit wäre, meine Nase korrigieren zu lassen. Das müßte auch der Millionär begreifen.«
»Selbst unter Leuten mit Geld waltet mitunter die Einsicht«, sagte Zoe Antigonis und brachte Lilli nach draußen, wo derselbe Chauffeur wartete, der sie hergebracht hatte. Es war zwischenzeitlich Nacht geworden. Eine klare Nacht in guter Luft. Die Milchstraße bildete einen deutlichen Streifen. Die Sterne wuselten.
Als Lilli bereits hinten im Wagen saß und zurück nach Athen gebracht wurde, stellte sie fest: »Jetzt weiß ich noch immer nicht, womit Herr und Frau Antigonis sich all die Journalisten gefügig machen.«
»Sehen Sie mich an«, sagte der Fahrer. »Ich bin glücklich. Da braucht es keine Peitsche.«
»So einfach?«
»So einfach«, sagte der Mann.
Als Lilli die Wohnung von Stavros Stirling betrat, waren sämtliche Spuren der Vornacht beseitigt. Man könnte sagen: Fledermausmänner gab es nicht mehr. Das wichtigste war natürlich, daß der kleine Leon von alldem nichts mitbekommen hatte, abgesehen von einem für ihn recht vergnüglichen Chaos sich auf die Zehen tretender Polizeibeamter. Jetzt aber war es ruhig. Ruhig und sauber und ordentlich. Alle schliefen. Eben auch Leon, der zwischen seinen Eltern lag. Ein, zwei Stunden noch, bevor er in das eigene Toben hinein erwachen würde. Aber dann würde Lilli zur Stelle sein und ihm helfen, sich zu beruhigen. Sie konnte das. Wie man pfeifen kann. Oder fliegen kann, wenn man denn ein Vogel ist. Ein richtiger Vogel und nicht etwa eine viel zu große, fette Taube.
24
Ende
Es gibt auch richtig gute Tage.
Lillis Adoptivtochter kam nach Athen, und man lebte gemeinsam bei Stirlings. Es war dies ein Höhepunkt in Leons kleinem Leben. Er wurde ständig herumgereicht, von einem zum anderen. Gelangte dabei auch an Kallimachos, der öfters zu Besuch kam, schwer atmend in der Küche stand, die eine Hand gegen die Kante der Anrichte gestützt, mit der anderen das servierte Glas Wein haltend. Welches er dann mitunter abstellen mußte, um das Kind in den Arm zu nehmen, dessen Köpfchen auf die schwere, weiche Männerbrust fiel. Leon mochte diesen mächtigen Körper, genauso, wie er die eher zarten Gestalten der drei Frauen mochte. Am wenigsten konnte er sich mit der gutgebauten Erscheinung seines Vaters anfreunden, dessen unsicheren Griff er spürte. Doch auch das würde sich mit der Zeit legen. Leon würde lernen, die Unsicherheit seines Vaters als Kompliment aufzufassen.
Was Leon jetzt so gut tat, war die Beiläufigkeit, mit der er zwischen den Personen pendelte. Ohne Getue, ohne Diskussion. Es versteht sich, daß Leons Glück nicht zuletzt darin bestand, abgelenkt zu sein. Und es versteht sich, daß strenge Pädagogen auch das noch schrecklich finden, abgelenkte Kinder. Aber was bedeutet denn dieses Abgelenktsein? Abgelenkt wovon? Natürlich vom Unglück,
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